Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
einzugehen: Sartre werde die Gelegenheit seiner Abwesenheit benutzen, um mich mit Beschlag zu belegen. «Ich will nicht, dass jemand an meine teuersten Gefühle rührt», sagte Herbaud im Ton eines Mitverschworenen zu mir. Wir beschlossen, meine Schwester solle sich mit Sartre zu der Stunde und an dem Orte treffen, die dieser vorgesehen hatte; sie sollte ihm sagen, ich hätte plötzlich aufs Land fahren müssen, und mit ihm an meiner Stelle ausgehen.
So würde ich also Herbaud bald wiedersehen. Ich war aufgenommen in seinen engsten Kreis. Etwas unkonzentriert machte ich mich an das Programm für die mündliche Prüfung. Ich las Bücher, die mich amüsierten, ich flanierte, ich ließ mir Zeit. Während des Abends, den Poupette mit Sartre verbrachte, überließ ich mich fröhlich dem Rückblick auf das verflossene Jahr, auf meine ganze Jugend; bewegt dachte ich an die Zukunft: ‹Eine sonderbare Gewissheit besteht in mir, dass der Reichtum, den ich in mir verspüre, auf fruchtbaren Boden fallen, dass das, was ich sage, Gehör finden und mein Leben ein Quell sein wird, aus dem andere schöpfen; Gewissheit einer Berufung …› Ich war so leidenschaftlich hochgestimmt wie zu Zeiten meiner mystischen Aufschwünge, doch ohne dabei die Erde zu verlassen. Mein Reich war definitiv von dieser Welt. Als meine Schwester nach Hause kam, beglückwünschte sie mich dazu, dass ich zu Hause geblieben war. Sartre hatte unsere Ausrede höflich geschluckt; er hatte sie ins Kino geführt und sich sehr liebenswürdig gezeigt; aber die Unterhaltung sei etwas lahm gewesen. «Alles, was Herbaud von Sartre erzählt, hat er selbst erfunden», sagte meine Schwester zu mir, die Herbaud wenig kannte, aber sehr amüsant fand.
Ich benutzte meine Mußezeit, um mehr oder weniger eingeschlafene Beziehungen neu zu beleben. Ich besuchte Madame Lambert, die durch meine ruhige Heiterkeit etwas aus dem Konzept gebracht wurde, und Suzanne Boigue, die durch eheliches Glück eher banaler geworden war; ich langweilte mich mit Riesmann, der immer düsterer wurde. Stépha war seit zwei Monaten nach Montrouge entschwunden, wo Fernando ein Atelier gemietet hatte; ich vermute, dass die beiden zusammenlebten und sie mich nicht wieder aufsuchte, weil sie diese Ungehörigkeit vor mir verbergen wollte. Als sie wiederauftauchte, trug sie einen Ehering am Finger; wir aßen zu Mittag im ‹Dominique› – einem russischen Restaurant, das ein paar Monate zuvor eröffnet worden war – und verbrachten den ganzen Tag mit Spazierengehen und Plaudern; am Abend speiste ich bei ihr in ihrem Studio, das mit hellen ukrainischen Teppichen ausgestattet war; Fernando malte von früh bis spät, er hatte viel dazugelernt. Ein paar Tage darauf gaben sie ein Fest zur Feier ihrer Hochzeit; es waren Russen, Ukrainer, Spanier da, die alle etwas mit Malerei, Bildhauerei oder Musik zu tun hatten; man trank, man tanzte, man sang, man verkleidete sich. Stépha hatte vor, bald darauf mit Fernando nach Madrid zu gehen, wo sie künftig zu wohnen gedachten; sie war von den Vorbereitungen für diese Reise und von Haushaltsorgen stark in Anspruch genommen. Unsere Freundschaft – die später noch einmal von neuem aufleben sollte – zehrte vor allem von Erinnerungen.
Ich ging auch weiterhin häufig mit Pradelle und Zaza aus, wobei jetzt ich diejenige war, die sich ein wenig als Eindringling fühlte: Sie verstanden einander so gut! Zaza gestand sich ihre Hoffnungen noch nicht offen ein, aber sie schöpfte aus ihnen den Mut, dem Ansturm ihrer Mutter standzuhalten. Madame Mabille war dabei, für sie eine Ehe einzufädeln, und setzte ihr unaufhörlich zu. «Was hast du gegen den jungen Mann?» – «Nichts, Mama, aber ich liebe ihn nicht.» – «Mein liebes Kind, die Frau liebt nicht; der Mann ist derjenige, der liebt», erklärte Madame Mabille; sie wurde ärgerlich: «Wenn du nichts gegen den jungen Mann hast, weshalb weigerst du dich dann, ihn zu heiraten? Deine Schwester hat sich sehr gut mit einem Mann abgefunden, der weniger gescheit ist als sie!» Zaza berichtete mir von allen diesen Diskussionen in eher bedrücktem als ironischem Ton, denn sie nahm die Unzufriedenheit ihrer Mutter nicht leicht. «Ich bin des Kampfes so müde, dass ich in zwei oder drei Monaten wohl doch eines Tages die Waffen gestreckt haben werde», sagte sie öfter zu mir. Sie fand ihren Verehrer ganz nett; aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass er je Pradelles oder mein Freund werden würde; bei unseren
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