Memoria
Hälfte war jedenfalls genau so verlaufen, wie er es sich vorgestellt hatte, das zeigte das Spektakel, das sich jetzt am anderen Ende des Parkplatzes entwickelte. Auch das hatte die Droge des blinden Peruaners ihn gelehrt: Was in der Vorstellung wirklich war – ob unter Drogeneinfluss oder nicht –, das war ebenso wirklich wie das, was man in der Hand hielt oder in den Mund steckte. Vielleicht sogar wirklicher. Er hatte sich selbst als alleinigen Lieferanten einer Droge vorgestellt, der niemand widerstehen konnte. Und bald, nach Jahren des Wartens, würde er es sein. Der Gedanke erregte ihn nicht einmal übermäßig, denn er hatte gewusst, dass der Moment kommen würde, früher oder später. Er hatte es sich vorgestellt, und bald würde es Wirklichkeit werden. Überhaupt, wer konnte sagen, dass die Vorstellung nicht ebenso real war wie die Ereignisse, die sie hervorrief?
Er drehte den Kopf zu dem
pistolero
auf dem Rücksitz, der auf einem 3 G Tablet- PC die Live-Berichterstattung über das Geiseldrama verfolgte.
Er nickte dem Mann zu.
Der
pistolero
erwiderte das Zeichen, legte den Tablet- PC ab und stieg aus dem Wagen.
Kapitel 53
Torres wartete nervös, während der Apotheker unter den Medikamenten hinter der Theke suchte. Er hatte Torres bereits ein paar Schmerztabletten mit Codein gegeben, aber sie schienen seinen Zustand nur verschlimmert zu haben. Jetzt suchte der Apotheker nach Antibiotika.
Torres sah sich immer wieder nach allen Seiten um. Ihm war klar, dass das Geschäft viel zu groß war, als dass er es auf Dauer unter Kontrolle halten konnte. Er musste eben darauf hoffen, dass der Rest seiner Einheit bald zu seiner Rettung kam, ehe die Bestien ihn in Stücke rissen. Er fühlte sich verloren und verwirrt, war unsicher, ob die Aufständischen von den Monstern kontrolliert wurden oder ob beide ein und dasselbe waren. Sein Kopf fühlte sich an, als müsse er platzen, und seine Haut juckte so sehr, dass er sie sich am liebsten in Fetzen vom Leib gerissen hätte. Der Schmerz in seinem Bauch hatte etwas nachgelassen, aber seine Schulter tat jetzt so weh, als sei er eben erst angeschossen worden.
Der Apotheker kam mit einer Pappschachtel hinter der Theke hervor, aus der er einen Blisterstreifen Tabletten zog. Er drückte zwei heraus und hielt sie Torres auf der flachen Hand hin.
«Das ist das stärkste Penicillin, das wir haben. Nehmen Sie es. Es ist immer noch das beste Mittel gegen Infektionen.»
Torres griff danach, aber als seine Finger die Pillen fast berührten, sah er, dass es gar keine Pillen waren, sondern zwei glänzende, käferartige Insekten mit gezahnten Beinen, die in gefährlich aussehenden Widerhaken endeten, und langen Fühlern, die vor- und rückwärts pendelten, um den Weg zu ihm zu ertasten.
Der Apotheker starrte ihn an. «Die werden Ihnen helfen. Vertrauen Sie mir.»
Torres blinzelte, aber in der Handfläche des Apothekers wanden sich noch immer die Käfer.
Er stieß die Hand des Mannes heftig von sich und wich zurück.
«Sie wollen die in mich reinkriegen?», schrie er. «Damit sie mich von innen auffressen? Was haben Sie mir vorher gegeben?» Er richtete seine Pistole auf das Gesicht des Apothekers. «Tut meine Schulter darum so furchtbar weh? Habe ich sie schon in mir?»
Der Apotheker hob beschwichtigend die Hände, und da sah Torres die gelben Augen, die gedrehten, spitzen Hörner, die langen Reißzähne und die schimmernde Haut, und er wusste, so sahen sie alle
in Wirklichkeit
aus. Die Bestie kam direkt auf ihn zu –
Und er drückte ab und sah, wie der Kopf des Monsters explodierte und Blut auf die Theke spritzte.
Eine Welle der Panik breitete sich über den Parkplatz aus. Der
pistolero
wusste nicht, was der Auslöser war. Die Nachrichtenteams arbeiteten plötzlich fieberhaft, Reporter sprachen eindringlich in die Kameras, während Polizisten und Agenten hektisch umherliefen.
Offenbar war in der Mall etwas passiert. Das war gut und schlecht zugleich. Gut, weil es für Ablenkung sorgte und ihm so seine Aufgabe erleichterte. Schlecht, weil es bedeuten konnte, dass die Situation, die sein Boss geschaffen hatte, sich zuspitzte, sodass sich möglicherweise das Zeitfenster für ihn schneller schloss als erwartet.
Doch das war kein Problem. Er brauchte nicht viel Zeit.
Er beschleunigte seinen Schritt ein wenig, jedoch nicht so sehr, dass er Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte, und ging weiter zwischen den kreuz und quer geparkten Fahrzeugen hindurch.
Zwanzig
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