Memoria
nuklearen Sprengsatz verschluckt. Aber damals konnte ich kaum in den Spiegel schauen, und ich konnte mich nicht überwinden, mein Inneres mit irgendjemandem zu teilen.
«Es tut mir leid», sagte ich und fühlte mich elend.
Michelle winkte ab. «Weißt du, was ich nie verstanden habe … Er war amerikanischer Staatsbürger und wurde zu dem, was er tat, gezwungen. Aber trotzdem hat er eine wirklich üble Superdroge entwickelt, nicht wahr? Ich meine, darum warst du dort, um ihn da rauszuholen. Und dass er gestorben ist, sicher, das war tragisch. Aber vielleicht war es doch besser so. Wer weiß, welchen Schaden seine Droge angerichtet hätte, wenn sie in Umlauf gekommen wäre. Meinst du nicht auch?»
Ich schüttelte den Kopf und stieß niedergeschlagen die Luft aus. «Davon haben wir uns aber nie persönlich überzeugt.»
«Du weißt, welchen Schaden er hätte anrichten können, wie viele Leben vielleicht zerstört worden wären, ob absichtlich oder unabsichtlich … Vielleicht war es das Beste so.»
Ich zuckte die Schultern, ich wollte nicht mehr darüber sprechen. «Vielleicht.» Dann wechselte ich das Thema. «Also, wer wusste noch davon, dass Alex mein Sohn war? Was hast du denen gesagt, als du ihnen mitgeteilt hast, dass du den Job aufgibst?»
«Ich habe niemandem etwas erzählt. Ich habe einfach gesagt, ich bräuchte eine Auszeit, und bin gegangen. Niemand wusste davon.» Dann fiel ihr etwas ein, und sie korrigierte sich: «Außer Munro. Der Widerling hat mich am Flughafen gesehen und sich seinen Teil gedacht. Er hat sich sogar an mich rangemacht. Er wusste, dass ich schwanger war. Wenigstens hatte ich das Vergnügen, sein Gesicht zu sehen, als ich ihn abgeschossen habe. Ein unbezahlbarer Anblick. Ich war wirklich gnadenlos.»
Ich nickte, wandte mich ab und starrte zum Horizont. Das vom Wasser gespiegelte Sonnenlicht brannte mir in den Augen, und ich wünschte, es könnte die Flut der Bilder von jenem Tag ausbrennen, die vor meinem geistigen Auge aufstiegen.
Dann legte Michelle ihre Hand auf meine.
«Weißt du was? Mir tut es auch leid», sagte sie versöhnlich. «Vielleicht war es ganz und gar nicht gut, was da gelaufen ist.»
Ich wandte mich ihr wieder zu und zuckte die Schultern. Es war unfair von mir, die Schuld auf sie zu schieben. «Nein. Ich war wirklich verdammt mies drauf.» Es drängte mich, das Thema zu wechseln, ich wollte weg von diesen Erinnerungen. «Wie auch immer, es hat keinen Sinn, jetzt noch lange darüber zu brüten.»
Michelle erwiderte nur: «Okay.»
Ich zog mein Handy hervor. «Ich habe meine Kollegen gebeten, einen sicheren Unterschlupf für dich zu organisieren. Das müsste inzwischen passiert sein. Ich rufe sie an, um die Adresse zu erfahren, und bringe dich hin.»
«Was ist mit den Mordermittlern? Die müssen alle Einzelheiten des Vorfalls erfahren.»
«Eins nach dem anderen», wehrte ich ab. «Lass mich erst dich und Alex an einen sicheren Ort bringen. Dann fahre ich hin und rede mit den Mordermittlern.»
«Ich will nicht, dass sie mir Alex wegnehmen, Sean. Nicht für eine Minute. Versprich mir, dass du nicht zulassen wirst, dass es dazu kommt.»
Ich sah sie an und nickte. «Es wird nicht dazu kommen.»
Eigentlich konnte ich dafür nicht wirklich garantieren, ich brauchte erst das Okay von höherer Stelle. Wären wir in New York gewesen, dann hätte ich dieses Versprechen mit weniger Unbehagen geben können. Aber hier draußen war ich der Gnade des Special Agent in Charge der hiesigen Dienststelle ausgeliefert, David Villaverde. Ich hatte ihn noch nicht kennengelernt, er schien jedoch ein anständiger Kerl zu sein. Bisher hatte er sich hilfsbereit gezeigt, allerdings hatte er noch nicht die ganze Geschichte erfahren. Ob er danach noch ebenso hilfsbereit sein würde, blieb abzuwarten.
Ich tätigte den Anruf und erfuhr die Adresse des sicheren Hauses. Es befand sich in einem Ort namens Mira Mesa, nicht weit von der Miramar Airbase des Marine Corps, etwa zehn Meilen nördlich von unserem jetzigen Standort. Der Plan sah vor, dass wir mit einem Taxi zur Einfahrt der Airbase kommen sollten, wo zwei Agenten uns erwarten würden, um uns zu dem sicheren Unterschlupf zu bringen.
Als ich das Gespräch beendete, sah Michelle mich an, als ob etwas an ihr nagte.
«Was hast du?», fragte ich.
«Bist du mit einer Frau zusammen?»
«Ja.»
Sie verzog das Gesicht, dann sagte sie: «Es tut mir leid. Dass ich dich dazu gebracht habe, herzukommen.»
Ich wehrte mit einer Kopfbewegung
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