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Memoria

Memoria

Titel: Memoria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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einfach schwer, mir dich in solchen Begriffen zu denken», sagte ich. «Dass du ein ruhiges Leben führst.»
    Sie stieß ein kurzes, nervöses Lachen aus. «Du kannst mir glauben, es war eine ziemliche Umstellung. Aber ich habe es eben für Alex getan, das war Motivation genug.»
    «Und darum hast du deine Stelle bei der Drogenbehörde aufgegeben.»
    «Das war der Hauptgrund, ja. Ich wollte nicht weiter diesen Job machen und riskieren, irgendwann einen Waisen zu hinterlassen. Und ich wollte auch nicht länger in Mexiko leben. Nachdem Calderón den Kampf gegen die Kartelle beschlossen hatte, gab es da einfach zu viel Blut auf den Straßen», sagte sie. Sie bezog sich auf den Beschluss des damals neu gewählten Präsidenten, von seinem ersten Tag im Amt an, 2006 , sein Militär in einen Vernichtungskrieg gegen die Kartelle zu schicken – einen Krieg, der nach der jüngsten Statistik inzwischen mehr als dreißigtausend Menschenleben gefordert hatte. Die Glücklicheren waren erschossen worden, die anderen entweder geköpft oder bei lebendigem Leib verbrannt, und ihre Überreste wurden vielfach in anonymen Massengräbern verscharrt oder in Natronlauge aufgelöst.
    Aus dem Durcheinander der Fragen, die mir durch den Kopf schwirrten, drängte eine besonders unbequeme Frage in den Vordergrund. Ich runzelte die Stirn und zögerte, weil ich nicht recht wusste, ob ich sie wirklich jetzt stellen sollte. Aber ich konnte nicht widerstehen, ich musste es wissen.
    «Sag mir eins», begann ich. «Wann hast du es gemerkt?»
    «Dass ich schwanger war?»
    «Ja», erwiderte ich beinahe widerstrebend. «War es bevor oder nachdem ich gegangen bin?»
    Sie sah mich einen Moment lang an, dann erwiderte sie: «Vorher.»
    Zorn begann in meinen Schläfen zu pochen. Das war nicht die Antwort, auf die ich gehofft hatte. Ich schüttelte nur den Kopf und wandte mich ab.
    «Hey, vergiss nicht, du warst derjenige, der gegangen ist.»
    Ich wandte mich ihr wieder zu. «Das heißt nichts. Ich wusste doch nichts davon. Du hattest meine Nummer. Warum hast du mich nicht angerufen und es mir erzählt? Dachtest du, ich wollte nicht daran teilhaben?»
    «Nein.
Ich
wollte nicht, dass du daran teilhast.» Michelle sprach mit fester Stimme, ohne eine Spur von Reue und ohne meinem Blick auszuweichen. Sie schwieg kurz, um meine Reaktion zu beobachten, dann fügte sie hinzu: «Ich wollte dich nicht in meinem und seinem Leben haben, Sean. Nicht so, wie du damals warst. Komm schon, erinnerst du dich etwa nicht? Du warst verdammt mies drauf. Bis oben hin voller Wut und Bitterkeit und völlig aufgefressen von Schuldgefühlen.»
    All das war leider wahr.
    «Es war eine schwere Zeit», sagte ich bitter, während die Erinnerungen an jene Nacht in dem Labor weit draußen in der mexikanischen Wildnis wieder über mich hereinbrachen.
    Erinnerungen an Dinge, von denen ich ihr nichts erzählt hatte.
    Michelle gehörte nicht zu unserer Task-Force, ihr Job war es, undercover den Geldfluss zu verfolgen und den Drogenbaronen den Geldhahn zuzudrehen. Sie kannte nicht die ganze Wahrheit darüber, warum wir in jener Nacht dort draußen waren, selbst ich kannte sie nicht. Der Auftrag war aus heiterem Himmel gekommen, eine dringende, plötzlich angesetzte Befreiungs- und Rettungsoperation, zu der ich abgestellt worden war. Und als wir zurückkehrten, war ich so am Boden und quälte mich so sehr mit dem, was wir getan hatten, dass ich es nicht über mich brachte, es ihr zu erzählen. Überhaupt hätte ich es nicht über mich gebracht, es irgendwem zu erzählen, aber ihr am allerwenigsten. Während jener chaotischen Tage hatte ich ihr nichts weiter offenbaren können, als dass alles schiefgelaufen war und dabei unschuldige Zivilisten gestorben waren, darunter auch der Mann, den wir dort hätten herausholen sollen.
    Ich erzählte ihr nicht, dass ich derjenige war, der ihn exekutiert hatte.
    «Das weiß ich ja», sagte sie. «Aber du hättest nicht einfach so zu verschwinden brauchen. Wer weiß, wenn du geblieben wärst, hätte ich dir vielleicht helfen können, die Sache durchzustehen. Und dann wären wir jetzt vielleicht immer noch zusammen.» Ihre Stimme brach, und ich hörte ein leises Bedauern heraus.
    Auch ich empfand so.
    Sie hatte natürlich recht, ich hätte es ihr erzählen sollen. Vielleicht hätte sie mir ja wirklich bei der Bewältigung helfen können. Vielleicht hätte ich die Geschichte dann nicht all die Jahre in meinem Inneren herumzutragen brauchen, als hätte ich einen

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