Memoria
esoterische Welten … Ich hatte mich immer darüber lustig gemacht. Alles wirkte warm und anheimelnd, alles strahlte Michelles besonderen Geschmack aus. Es machte mir umso deutlicher, wie sehr Alex sie vermissen würde.
Als ich den Blick über die Bücherregale gleiten ließ, fiel mir ein kleiner drahtloser Router auf, der auf einer Archivbox aus Kunststoff lag. Bei näherem Hinsehen erkannte ich, dass die grünen LED -Lämpchen leuchteten, was bedeutete, dass er aktiv war. Ich drehte mich um und bemerkte auf einem Tischchen neben dem Schreibtisch einen kleinen Tintenstrahldrucker. Das Logo darauf zeigte an, dass er ebenfalls schnurlos war. Ich richtete den Blick auf den Schreibtisch selbst. Darauf stand kein Computer, an der Seite hing jedoch ein dünnes weißes Kabel herunter, das zu einem kleinen weißen Netzteil mit Apple-Logo in einer Wandsteckdose führte.
Aber ein Computer war nirgends zu sehen.
Ich wandte mich an Villaverde. «Hat jemand einen Computer mitgenommen? Ein Notebook oder vielleicht ein iPad?»
«Augenblick.» Er zog sein Handy hervor.
Ich schaute mich um, nichts. Ich sah noch einmal im Schlafzimmer, im Wohnzimmer und in der Küche nach.
Nichts.
Villaverdes Anruf fiel negativ aus. Die Ermittler, die im Haus gewesen waren, hatten keinen Computer vorgefunden. Sonst hätten sie ihn mitgenommen und ins Kriminallabor gebracht.
«Im Hotel hatte sie keinen bei sich», sagte ich zu Villaverde. «Das heißt, er war wahrscheinlich noch hier, als sie aus dem Haus flüchtete.»
Ich sah mir den Router noch einmal an. Das Gerät war von Netgear, nicht die original Apple Time Capsule – schlecht für uns, denn das Gerät von Apple erstellt automatisch drahtlos ein Backup vom Computer, und das hätte für uns in diesem Fall sehr interessant sein können. Aber wahrscheinlich hätten die Eindringlinge es dann ebenfalls mitgenommen.
«Also hat das Überfallkommando ihn mitgenommen», stellte Villaverde fest.
Das war keine besonders hilfreiche Erkenntnis, aber es verriet mir immerhin eines.
Die Killer waren nicht allein hinter ihr her gewesen.
Kapitel 12
Halbinsel Yucatán, Mexiko
Raoul Navarro liebte diesen Ort. Er liebte es, einfach nur hier zu stehen, auf seiner bevorzugten Terrasse unter den vielen schattigen Terrassen der
casa principal
seiner Hacienda, einen guten kubanischen Rum zu genießen und die Aussicht auf sich wirken zu lassen. Der volle Mond spiegelte sich auf der Oberfläche des Zierteichs, eine sanfte Brise strich durch die Bougainvilleen, und unzählige Zikaden zirpten seiner Welt ein Schlaflied.
Raoul Navarro führte ein gutes Leben.
Mehr als gut, wenn man bedachte, dass eine weitere kubanische Spezialität, diese von der weiblichen, langbeinigen Sorte, gerade nackt in seinem Bett schlief. Denn auch wenn Navarro Single war, so war er doch selten allein. Er besaß einen unstillbaren Appetit für alles Fleischliche, und dank seines Vermögens und des guten Aussehens, das ein höchst begabter, inzwischen leider verstorbener plastischer Chirurg seinem Gesicht verliehen hatte, fiel es Navarro nicht schwer, diesen Appetit zu stillen.
Seine derzeitige Gespielin war die Wellnessleiterin eines nahe gelegenen Luxushotels, die sich zu seinem Erstaunen und Entzücken im Bett als noch lüsterner und experimentierfreudiger erwiesen hatte als er selbst. Während er nun über seine Parkanlagen hinausblickte, überkam ihn schon wieder die Lust, bei ihr zu sein und ihren Körper mit sanften Bissen zu erkunden. Genau das hätte er jetzt getan, wären da nicht die Ereignisse in San Diego gewesen, die seine Gedanken schon den ganzen Tag beschäftigten und noch immer seine geballte Aufmerksamkeit forderten. Denn auch wenn sein Leben mehr als gut war, würde es doch noch einmal sehr viel besser werden, wenn alles nach Plan lief – nach
seinem
Plan. Einen anderen ließ Raoul Navarro nicht gelten.
Er war es gewöhnt, seine Pläne umzusetzen.
Zwar waren vor fünf Jahren die Dinge gründlich außer Kontrolle geraten, aber er hatte überlebt. Er hatte inzwischen einen neuen Namen und ein neues Gesicht, konnte sich frei bewegen, an einem herrlichen Abend wie diesem köstliche kubanische Spezialitäten genießen in dem herrschaftlichen Zuhause, das seine Zuflucht war – eine Zuflucht vor den Gefahren der Vergangenheit, eine Zuflucht, in die er gezwungen worden war und die sich doch als das Beste erwiesen hatte, das ihm je passiert war.
Er hatte den heruntergekommenen Grundbesitz etwa zwei Jahre nach
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