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Memoria

Memoria

Titel: Memoria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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hatte, einen, den ich nicht länger vor mir herschieben konnte.
    Ich warf noch einmal einen Blick auf die Uhr und dachte kurz an die Zeitverschiebung zwischen Kalifornien und Arizona, ehe ich mich daran erinnerte, dass es im Staat des Grand Canyon keine Sommerzeit gab und dort also dieselbe Uhrzeit war wie in San Diego.
    Was bedeutete, dass es für den Anruf noch nicht zu spät war.
    «Geben Sie mir ein paar Minuten», sagte ich zu Villaverde, während ich zur Tür ging und mein Handy hervorzog.

Kapitel 10
    Cochise County, Arizona
    Tess traute ihren Ohren nicht.
    Zuerst war sie begeistert, als Reilly anrief. Es war nie leicht für sie, wenn er zu Einsätzen unterwegs war und sie nicht wusste, wo er sich befand oder wie groß die Gefahr wirklich war. In solchen Zeiten schlug ihr Herz höher, wenn sie seine Nummer im Display sah. Auch heute Abend empfand sie diese Anspannung – sie wusste nicht, warum er in San Diego war, welche Gefahrenstufe dort seine sofortige Anwesenheit erforderte, und sie wollte ihn gerade anrufen, als ihr Handy klingelte. Wie immer spürte sie ein freudiges Kribbeln im Bauch, als sie seine Stimme hörte, wie immer durchströmten sie Freude und Erleichterung, nur dass diesmal ihre Hochstimmung von kurzer Dauer war.
    Ihr war bewusst, dass er sich nach Kräften bemühte, ihre Gefühle zu schonen und es ihr vorsichtig und einfühlsam beizubringen, aber dennoch war es ein gewaltiger Schlag. Trotz all seiner Bemühungen fühlte sie sich zerrissen, wie durch eine Mangel der Trauer gedreht, des Schmerzes, des Mitgefühls, der Melancholie, und, ja, sosehr sie auch gegen das Gefühl ankämpfte, da war auch ein Anflug von Eifersucht.
    Gegen Ende des Telefonats fühlte sie sich benommen, emotional gebeutelt und körperlich ausgelaugt, und zu alledem brach ihr die Vorstellung das Herz, dass es dem Mann, den sie liebte, zweifellos noch elender erging.
    Als sei all das noch nicht schlimm genug, war da eine junge Mutter, die gerade ihr Leben verloren hatte, und ein Vierjähriger, der hatte mitansehen müssen, wie seine Mutter starb.
    Für Tess gab es nur eins zu sagen.
    «Ich komme morgen früh mit dem ersten Flieger.» Ihr ruhiger, ernster Ton ließ keinen Widerspruch zu.
    Und Reilly widersprach nicht.
     
    «Alles okay?», erkundigte sich Villaverde, als ich wieder in sein Büro trat.
    «Ja», erwiderte ich und empfand eine fremde, kalte Leere in meinem Inneren. Ich sah kurz durch die gläserne Trennwand zu Alex hinüber und sagte: «Bringen wir erst mal den Jungen hier raus. Aber wenn wir ihn schlafen gelegt haben, gibt es etwas, das ich tun muss.»
    «Spucken Sie’s aus.»
    «Michelles Haus», sagte ich zu Villaverde. «Ich will es sehen.»

Kapitel 11
    In der Straße vor Michelles Haus herrschte lähmende Stille. An diesem Abend war die ohnehin ruhige Wohngegend noch ruhiger als sonst, als hielte sie im Schock den Atem an. Vor dem Haus stand ein einzelner Streifenwagen, und das Grundstück war von gelbem Absperrband umgeben – schwache Hinweise auf das Gemetzel, das früher am Tag hier gewütet hatte.
    Es waren die einzigen draußen.
    Drinnen waren die Spuren sehr viel konkreter.
    Das Erste, was Villaverde und mich empfing, als wir eintraten, war eine große Lache geronnenen Blutes. Eine Schleifspur führte von der Tür in einem Bogen seitlich weg. Ich sah bildlich vor mir, wie sie entstanden sein musste, als die Männer des Überfallkommandos hastig ihren verletzten oder sterbenden Kameraden aus dem Haus schafften und dazu die Leiche von Michelles Freund beiseiteschoben. Eine zweite Blutspur – wohl die des angeschossenen Gangsters – wand sich weiter ins Haus hinein und verschwand in einem dunklen Flur. Daneben waren die blutigen Stiefelabdrücke von wenigstens zwei Männern zu sehen.
    Ich ging in den Flur hinein, wobei ich es vermied, auf die roten Flecken am Boden zu treten. Überall lagen Dinge herum, die die Spurensicherung zurückgelassen hatte – schwarzes Pulver für Fingerabdrücke, Kärtchen zur Positionsmarkierung, Gummihandschuhe und leere Bandabroller. Es ist mir schon immer aufgefallen, wie schnell der Tod sich ausbreitet und ein neues Territorium in Besitz nimmt, wie schnell er dem Zuhause eines Opfers alles Lebendige aussaugen kann, sodass es scheint, als sei derjenige bereits jahrelang fort. Das war hier nicht anders, und die brutale Endgültigkeit berührte mich umso mehr, da ich Michelle so nahegestanden hatte.
    Ich folgte der makabren Spur weiter ins Haus hinein und den

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