Memoria
aufspüren.
Kapitel 32
Während er über die Interstate 95 hinauf nach Mamaroneck fuhr, fragte sich der Rauschgiftermittler Andy Perrini, warum Octavio Guerra so darauf erpicht war, diese Archäologin ausfindig zu machen, die neuerdings seichte Romane schrieb. Natürlich musste da etwas dahinterstecken, bei diesem Mexikaner steckte immer etwas dahinter, aber Perrini hatte gerade selbst mehrere Eisen im Feuer, und so hatte er beschlossen, seinen Geldgeber in dieser Sache nicht zu hinterfragen.
Er kannte bereits Tess Chaykins Adresse; sie stand in der Akte, die er vor ein paar Wochen für Guerra zusammengestellt hatte. Das Haus gehörte Tess’ Mutter Eileen, aber anscheinend wohnte die verwitwete Mrs. Chaykin nicht mehr dort. Herauszufinden, wo sie sich aufhielt, gehörte nicht zu seinem Auftrag, und Perrini tat, wenn er für andere arbeitete, grundsätzlich nicht mehr, als verlangt wurde. Es sei denn, er konnte durch den Mehraufwand auch mehr Geld herausschlagen.
Der eigentliche Gegenstand von Perrinis Bericht war Chaykins Freund gewesen, ein FBI -Agent bei der Antiterror-Task-Force. Er war vor ein paar Jahren zu ihr gezogen, und jetzt spielten die beiden mit Chaykins jugendlicher Tochter Kim Familie. Perrini widerte der Gedanke an, mit dem Kind eines anderen zusammenleben zu müssen. Aber noch schlimmer war die Vorstellung, Vergnügen und familiäre Verpflichtungen zu verbinden. Er selbst hielt beides strikt getrennt. Einerseits Rachel und die Jungs in Greenpoint, andererseits Louise in dem Apartment an der Second Avenue, das er von seinem – wie er es beschönigend nannte – nicht steuerpflichtigen Einkommen bezahlte.
Um kurz nach zwei Uhr nachmittags bog Perrini in die Mamaroneck Avenue ein und schaltete für den letzten Teil des Wegs die einschläfernde weibliche Stimme seines Navigationssystems ein.
Er hatte sich über Mamaroneck informiert, ehe er aufbrach. Die ganze Organisation dieser Gegend erschien ihm unnötig kompliziert. Es gab ein Dorf und eine Stadt mit demselben Namen, aber das Dorf Mamaroneck gehörte nur teilweise zur gleichnamigen Stadt, wohingegen das gesamte Dorf Larchmont als Teil der Stadt Mamaroneck galt. Auf der Website der Stadt gab es sogar eine Unterseite, auf der man herausfinden konnte, ob man in ihr wohnte oder nicht. Außerdem hatte Perrini gelesen, «Santa Claus is Coming to Town» sei in dieser Stadt geschrieben und uraufgeführt worden, was offenbar ihr stolzester Moment gewesen war. Das alles führte dem Polizisten wieder einmal vor Augen, warum er normalerweise nie weiter in den Norden fuhr als bis nach Mount Vernon.
Sobald er sein Ziel erreicht hatte, löschte er den Speicher des Navis. Dann fuhr er exakt am Tempolimit die baumgesäumte Straße entlang und sah sich das Haus seiner Zielperson und die benachbarten Häuser genau an. Mit den Jahren hatte er gelernt, mit einem kurzen Blick eine große Menge Informationen aufzunehmen. Als er das Ende der Straße erreichte und kehrtmachte, wusste er bereits, dass vor Tess’ Haus kein Auto geparkt stand, dass der Briefkasten seit mehreren Tagen nicht geleert worden war und dass die Vorhänge halb geöffnet waren – ein lächerlicher Versuch, den Eindruck zu erwecken, man sei zu Hause, wenn man in Wirklichkeit verreist war. Das, was ihn an dem Grundstück am meisten interessierte, war von einer Seite offen einsehbar, von der anderen jedoch durch einen großen Rhododendronstrauch verdeckt. Es war für seine Zwecke perfekt beschaffen, auch wenn er natürlich für alle Eventualitäten gerüstet war.
Die Nachbarn zur Linken hatten zwei Söhne, die noch zu klein für das Ferienlager waren, das schloss er aus den zwei Jungenfahrrädern unterschiedlicher Größe, die auf dem Rasen herumlagen, aber im Augenblick schien dort niemand zu Hause zu sein. Die Nachbarn auf der anderen Seite waren anscheinend im Ruhestand. Dafür sprachen sowohl der makellos gepflegte Garten als auch mehrere Gehstöcke, die auf der Veranda an der Wand lehnten. Der glänzende Lexus in der Einfahrt verriet Perrini, dass wenigstens eine Person zu Hause war. Das passte hervorragend in seinen Plan.
Wieder am Ausgangspunkt angekommen, parkte Perrini seinen Wagen etwa hundert Meter vom Haus der Chaykins entfernt hinter einem blauen Prius. Dann rief er noch einmal Chaykins Festnetznummer an; er hatte sie in das Wegwerfhandy eingespeichert, das er ein paar Stunden zuvor gekauft und bar bezahlt hatte. Er ließ es klingeln, bis das Rufzeichen abbrach, dann steckte
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