Memoria
beobachtete scharf jede Regung in ihrem Gesicht, konnte jedoch nicht erkennen, wie aufrichtig sie war. Wie auch immer, den Rest dieser Geschichte brauchte ich vorerst nicht zu hören, deshalb kam ich auf die dringendere Frage zurück.
«Dieser Mexikaner – was wissen Sie sonst noch über ihn?»
Karen hob die Hände, und ihre Stimme wurde leiser. «Nichts. Wook hat mir nichts weiter erzählt, ich schwör’s.»
Irgendetwas erschien mir nicht stimmig. «Ihr Mann und seine Jungs haben diesen Mexikaner also vor sechs oder sieben Monaten einfach so kennengelernt? Und dann gleich ein paar ziemlich riskante Aufträge von ihm angenommen? Das scheint mir doch nicht besonders klug, wie?»
«Wook sagte, sie hätten schon früher zusammengearbeitet. Vor Jahren.»
«Wo?»
Karen seufzte. Sie schien wütend auf sich selbst, weil sie das alles preisgeben musste. «Vor ein paar Jahren haben Wook und die Jungs für einen mexikanischen Drogenboss die Lieferungen auf dieser Seite der Grenze gesichert. Dieser neue Typ war ein Vertrauter von dem damaligen großen Boss. Wook konnte sich nicht an ihn erinnern, aber er sagte, der Kerl wusste Sachen, die nur jemand wissen konnte, der dabei gewesen war.»
«Was zum Beispiel?»
Sie starrte mich sekundenlang an und wirkte dabei immer unbehaglicher. «Der Mexikaner hatte den Verdacht, dass einer seiner Leute von einem rivalisierenden Kartell eingeschleust worden war. Dass die planten, ihm sein Revier streitig zu machen. Wook war an dem Tag dort. Und Guru auch.»
«Guru?»
«Gary. Gary Pennebaker. Er und Wook haben die Eagles gegründet, nachdem sie aus dem Irak zurück waren.»
Ich dachte an die zwei Gesichter an der Wand des Clubhauses, die sich nicht unter den Toten befanden.
«Also jedenfalls waren sie dabei, und der Mexikaner hat angefangen, den Typen zu zerstückeln, um ihn zum Reden zu bringen. Ich weiß die Einzelheiten nicht, aber es war schlimm. Hannibal-Lecter-mäßig schlimm. Wook sagte, der Typ war völlig krank. Guru und Wook haben zugesehen, und Guru hat sich vor versammelter Mannschaft die Seele aus dem Leib gekotzt. Wook konnte nicht mehr aufhören zu lachen.» Karens Miene verdüsterte sich. Es schien ihr peinlich zu sein, dass dieser aufrechte Bürger ihr Mann gewesen war. «Jedenfalls, dieser neue Typ, der war auch dabei. Er arbeitete als Vollstrecker für den Boss. Wook sagte, so, wie er die Sache beschrieben hat, muss er dabei gewesen sein. Und das hat gereicht, um mit ihm ins Geschäft zu kommen.»
Karen hatte bereits gesagt, dass sie den Namen dieses neuen Mexikaners nicht kannte. «Hat Wook erwähnt, wie der Boss damals hieß?»
Sie schüttelte bedauernd den Kopf. «Nein.»
«Was ist mit Pennebaker? Wo ist er? Warum war er nicht mit den anderen im Clubhaus?»
Villaverde hatte sich bereits in die ATF -Akte zu den Eagles vertieft. «Hier steht, er ist nach einer Haftstrafe aus dem Club ausgestiegen?»
Er sah fragend zu Karen auf.
«Das stimmt.»
Ich war elektrisiert. Dieser Guru konnte uns womöglich helfen herauszufinden, wer der mexikanische Hintermann war. Sofern er noch lebte.
«Wo können wir ihn finden?»
Karen zuckte die Schultern und erwiderte: «Das weiß ich so wenig wie Sie.»
Kapitel 30
Tess stand voller Unruhe an der Tür zu Alex’ Zimmer und sah zu, wie er auf dem Boden mit seinen Figuren spielte.
Sie waren bereits unten am Frühstücksbuffet gewesen. Jetzt warteten sie auf Jules, die auf dem Weg zu ihnen war. Alex hatte den vergangenen Tag größtenteils im Hotelzimmer verbracht, und Tess fand, sie sollten mal wieder etwas mit ihm unternehmen, er hatte Ablenkung sicher dringend nötig. Jules hatte vorgeschlagen, in den Balboa Park zu gehen, der in der Nähe lag. Dort gab es reichlich Unterhaltung: einen der weltgrößten Zoos, das Luft- und Raumfahrtmuseum, das Natural History Museum und vieles mehr. Alex war begeistert gewesen und hatte sich, wie nicht anders zu erwarten, für den Zoo entschieden.
Tess wollte endlich los. Sie hoffte, die Tiere und die Shows würden ihn ablenken und ihm helfen, sein Lächeln wiederzufinden, wenn auch nur für kurze Zeit.
Ein Lächeln, das die Zeichnung ihm wohl nicht entlocken würde.
Tess konnte nicht aufhören, an das verdammte Ding zu denken, und schalt sich zugleich selbst für ihre Besessenheit. Als sie sich abwandte, fiel ihr Blick auf den kleinen Tisch am Fenster. Darauf lagen ein paar Bilder, die Alex am Vortag gemalt hatte.
Ihr kam eine Idee. Sie wusste, dass sie dem Drang widerstehen
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