Memoria
er sein Handy wieder ein. Alles lief ganz nach Plan.
Niemand zu Hause.
Er suchte aus dem Zeug, das er für Observierungen auf dem Rücksitz liegen hatte, ein Klemmbrett und einen Phillips-Schraubenzieher hervor und löste die Schnürsenkel seiner Lacklederschuhe. Dann stieg er aus dem Wagen und machte sich auf den Weg. Er ging gemächlich die Straße entlang, rückte seine Krawatte zurecht und fuhr sich mit den Fingern durch die rabenschwarze Mähne, ein Merkmal, das ihm immer wieder zustattenkam, sowohl bei Vernehmungen von Frauen als auch bei der noch immer reizenden Louise, die, als sie sich kennenlernten, kaum zwanzig gewesen war.
Als er sich Chaykins Grundstück näherte, schaute er nach unten, bemerkte, dass sein Schnürsenkel offen war, und ging neben dem Rhododendron in die Hocke, wie um ihn zuzubinden. Er legte sein Klemmbrett ab, zog den Schraubenzieher hervor und löste rasch die Schrauben, mit denen die Hausnummer am Torpfosten neben der Einfahrt befestigt war. Als die Schrauben weit genug herausgedreht waren, hebelte er das Metallschild mit dem Schraubenzieher los und steckte es mitsamt den Schrauben ein. Dann band er seinen Schnürsenkel zu, nahm wieder das Klemmbrett und setzte seinen Weg fort.
Er ging selbstbewusst über die Einfahrt des Rentnerpaares, vorbei an ihrem makellos blanken Lexus, und klingelte an der Haustür. Dabei hielt er sein Klemmbrett auf eine förmliche Art, die den meisten Normalbürgern unweigerlich Unbehagen einflößte.
Eine Frau in den Sechzigern öffnete die Tür. Sie trug einen gut geschnittenen Hosenanzug und eine Kette aus echten Perlen. Ein gutes Gefühl durchströmte Perrini. Die Sache versprach fast zu leicht zu werden.
«Guten Tag, Ma’am», grüßte er in dem Ton, den er sonst nur gegenüber Rachels Mutter und der Frau seines Vorgesetzten anschlug. «Ich komme von der Brandschutzbehörde unten an der Weaver Street. Wir überprüfen gerade, ob an jedem Grundstück deutlich sichtbar die Hausnummer angebracht ist, so, wie die Stadtverordnung es vorschreibt.»
Die Frau schaute sofort über Perrinis Schulter zu der Porzellantafel hinüber, die an ihrem niedrigen Lattenzaun befestigt war. Die Tafel war an ihrem Platz. Fragend richtete die Frau den Blick wieder auf Perrini.
Er lächelte.
«Sie selbst erfüllen diese Vorschrift natürlich voll und ganz, Ma’am. Und Sie haben da sogar ein sehr hübsches Schild, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Es passt ausgezeichnet zu Ihrem Mimosenbaum.»
Jetzt lächelte die Frau ebenfalls.
Perrini warf einen Blick auf sein Klemmbrett, auf dem sich unpassenderweise der aktuelle Dienstplan der Drogenfahndung des neunten Reviers befand.
«Nein, Ma’am, es geht um die Hausnummer Ihrer Nachbarin» – Perrini tippte mit einem Bleistift auf sein Klemmbrett –, «einer gewissen Tess Chaykin?» Er wies auf den Torpfosten, von dem er soeben das Schild mit der Hausnummer entfernt hatte, und verzog bedauernd das Gesicht. «Da ist keine Nummer zu sehen.»
Die Frau befingerte ein wenig nervös ihre Perlenkette. Offenbar behagte ihr die Vorstellung nicht, dass irgendjemand in ihrer Straße gegen städtische Bestimmungen verstieß.
Perrini musste sich ein hämisches Grinsen verbeißen.
«Wir haben Miss Chaykin in dieser Angelegenheit bereits angeschrieben, aber bisher gab es keine Rückmeldung. Nun erteilen wir ungern Geldstrafen, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt. Vielleicht ist Miss Chaykin den Sommer über verreist, und es ist niemand da, der ihre Post durchsieht?»
Die Frau nickte. «Sie ist in der Tat verreist. Aber ihr Freund ist hier», fügte sie hinzu, nicht ohne bei dem Wort ‹Freund› missbilligend das Gesicht zu verziehen. «Allerdings habe ich ihn seit Samstagmorgen nicht mehr gesehen. Vielleicht hat er ihre Post nicht geöffnet?»
Perrini wusste von Guerra, dass Sean Reilly sich in San Diego befand, deshalb überraschte ihn diese Mitteilung nicht.
«Können Sie sie irgendwie erreichen?», fragte er, wobei er sich bemühte, nicht im mindesten aggressiv zu klingen. «Ich kann die Geldstrafe vorerst hinauszögern, aber nicht endlos.»
«Nun, ich weiß nicht», erwiderte die Frau entschuldigend. «Sie ist mit ihrer Tochter in Arizona, auf der Farm ihrer Tante. Hat das nicht Zeit, bis sie wieder zurück ist? Ich glaube, sie ist nur für ein paar Wochen fort.»
Damit hatte Perrini alles erfahren, was er wissen wollte. Er beschloss, den Rückzug anzutreten und die Stadtverordnung von Mamaroneck wieder sich
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