Mensch, Martha!: Kriminalroman
wissen konnten, war, dass er mit seinem
Bruder zusammenarbeitet. Sie hatten das Gebäude der Buchbinderei
angemietet. Deshalb war die Wohnung der Wolf sauber.«
»Ich hätte Corinna fragen
sollen, wo sie die Filme gedreht haben.«
»Auf die Buchbinderei wären
sie nicht gekommen. Die Mädchen waren nie dort. Gedreht wurde in
einer kleinen Pension am Ostbahnhof. Die Buchbinderei war
eine Art Lager und Vertriebszentrum.« Frau Noll gießt Rum in
ihre Tasse. »Ihr Zeller, also der, den Sie schon vorgeladen hatten,
war der ... äh ... Produzent, der andere Zeller kümmerte sich um
den Vertrieb im Internet.«
»Wir haben ziemlich
umfangreiches Material sichergestellt. Üble Sachen ...«, fügt
Straßenberger an. »Und im übrigen sind wir daran festzustellen,
mit wem Zeller vor der Wolf zusammen war. Es scheint, als hätte er
bewusst die Beziehung zu Frauen gesucht, die Töchter im
entsprechenden Alter haben.«
»Oh Gott!« entfährt es
Martha.
Frau Noll nickt. »Der schaut
leider tatenlos zu. Aber Dank Ihnen sind die zwei jedenfalls aus dem
Verkehr gezogen. Obwohl wir natürlich alle wissen, dass die
Sache mit der Kinderpornographie ein Hase-Igel-Rennen ist. Und wir
von der Staatsanwaltschaft die Rolle des Hasen spielen.«
»Ich habe da keinen großen
Beitrag geleistet. Ehrlich nicht. Radspieler hat uns den Tipp
gegeben. Ich habe dann den Faden aufgerollt. Und das auch nur
zur Hälfte.«
»Wer weiß, ob dieser
Radspieler mit seinem Verdacht so schnell zu uns gekommen wäre,
hätten Sie ihm nicht so zugesetzt ... ihn so gepiesackt. Der
Verdacht war ja an und für sich recht vage«, meint Straßenberger
und holt sich von der Noll ein Nicken ab.
Martha dreht die Tasse in ihren
Händen. »Ich habe auf meiner Wahrheit beharrt. Ich habe – im
wahrsten Sinne des Wortes – bis fünf vor zwölf geglaubt, dass er
Dreck am Stecken hat.«
»Ich hab das zwischendurch
auch in Erwägung gezogen. Erinnern Sie sich, Morgenstern?«
»Und als es dann zum Showdown
gekommen ist, bin ich tatenlos im Auto gesessen. Ich hab Hiller nicht
geholfen. Ich hab zugesehen, wie Radspieler vom Dach fällt«, sagt
sie in die Teetasse hinein. »Es ist nicht auszudenken, wie es
Rebekka ergangen wäre, wäre er nicht bei ihr gewesen.«
»Waren Sie schon bei ihm im
Krankenhaus?« fragt Straßenberger. »Er scheint ja ziemlich
ramponiert zu sein. Man konnte ihn bisher nicht befragen.«
»Ja, ich war dort. Ramponiert
beschreibt seinen Zustand recht treffend.«
»Konnten Sie mit ihm
sprechen?« will Frau Noll wissen.
Ich kann nicht mit ihm
sprechen. Ich stehe an seinem Bett und krieg den Mund nicht auf. Ich
bin wie versteinert.
Das Wort mulmig beschreibt das Gefühl nicht ganz
genau, aber es ist nahe dran. Frau Wagner, die immer treffende
Beschreibungen für die Gefühlslage wünscht, würde es zur Not
gelten lassen. Martha findet kein besseres Wort. Sie hat ein
mulmiges Gefühl, als Rebekka am Donnerstag ihre Schultasche
schultert und darauf besteht, alleine zur Schule zu gehen. Wie immer. Es ist nicht mehr wie immer.
Martha akzeptiert den
Entschluss ihrer Tochter dennoch. Sie hat keine Angst. Was kann
ihr Besseres passieren?
Am Freitag hat sich das ungute
Gefühl in Martha schon etwas verdünnt. »Und nach der Schule gehe
ich zu Susanna! Wir haben schon ewig nicht mehr miteinander
gespielt!«
»Aber ich bin doch zu Hause!«
»Mama! Ich kann mich nicht nur
um dich kümmern. Jetzt war ich tagelang nur für dich da. Ich muss
mich auch mal wieder mit Susanna treffen!«
»In Ordnung. Um fünf Uhr hole
ich dich bei ihr ab.«
»Keine Minute früher!«
Martha räumt das
Frühstückgeschirr ab und entschließt sich, den Tag für sich zu
nutzen.
Friseur. Shoppen. Dazwischen
zehn Minuten Rechts-der-Isar.
Sie blättert im Kalender nach der Telefonnummer
ihres Friseurs. Dabei fällt ihr Blick auf einen Eintrag
kommenden Montag: Stressseminar, Teil II.
Der Friseur schiebt sie
zwischen zwei Dauerwellen ein, schneidet, tönt und föhnt und
philosophiert über den Wert der Wertevermittlung in der
Familie. Martha stimmt ihm in allem zu.
Nach dem Friseur fährt Martha
zu Dr. Richter und bittet ihn, die Krankmeldung bis einschließlich
Montag zu verlängern.
»Ich hätte ein
Stressbewältigungsseminar.«
»Und ausgerechnet das wollen
Sie schwänzen?«
»Ich muss! Ich hab meine
Hausaufgabe nicht gemacht!«
Dr. Richter gibt ihr die
Verlängerung.
Steuerzahler, vergib mir!
Als sie vor der Schiebetüre
steht, erinnert sie sich, in der Nacht von
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