Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
wir jemals erfahren werden, was mit Walter und Henrik passiert ist, dann wird das nicht an dem liegen, was wir selbst herauskriegen oder gekriegt haben. Du musst deine Energie nutzen, um vorwärtszugehen, Ebba, nicht rückwärts.«
»Willst du damit sagen, dass du mir nicht helfen willst?«
»Ich kann dir nicht helfen, das will ich damit sagen.«
»Aber was glaubst du dann, Kristina? So viel kannst du mir doch wohl anvertrauen. Was glaubst du selbst, was wohl mit Walter und Henrik passiert ist?«
Kristina lehnte sich in ihrem Korbsessel zurück und betrachtete ihre Schwester mit einer Miene voller … ja, voller was?, dachte Ebba. Mitleid? Distanzierung? Ekel?
»Ich glaube gar nichts, liebe Ebba. Ich glaube absolut gar nichts.«
»Leben sie … du kannst mir doch zumindest sagen, ob du glaubst, ob einer von ihnen noch lebt?«
Die Stimme trug nicht, es wurde eher ein Flüstern. Kristina hatte wieder diesen Ausdruck in den Augen, der nicht richtig zu deuten war, jetzt umklammerte sie dabei auch noch mit den Händen die Armlehnen. Ein paar Sekunden lang sah es aus, als könne sie sich nicht entscheiden.
Ob sie aufstehen sollte oder nicht. Ob sie antworten sollte oder nicht. Schließlich holte sie tief Luft, entspannte sich und ließ die Schultern sinken.
»Ich glaube, sie sind tot, Ebba. Es wäre einfach dumm, weiterhin rumzulaufen und sich etwas anderes einzubilden.«
Zehn Sekunden lang blieb es still.
»Danke«, sagte Ebba dann. »Danke, dass ich wenigstens mit dir reden durfte.«
Sie blieb am Fenster stehen und sah, wie ihre Schwester durch die Pforte hinausging. Als sie den Musseronvägen hinunter verschwunden war, spürte sie plötzlich, dass sie sich nicht bewegen konnte. Eine eiskalte Lähmung pflanzte sich von den Fußsohlen bis hinauf zur Kopfhaut, und gleichzeitig begann auch ihr Blickfeld zu schrumpfen. Sie wurde rückwärts durch einen sich schnell zusammenziehenden Tunnel gezogen, und Sekunden, bevor sie in Ohnmacht fiel, gelang es ihr noch, den Fall ein wenig abzumildern, indem sie die Knie beugte und sich nach vorn kippen ließ.
Kurze Zeit später wachte sie auf dem Flurfußboden wieder auf, krabbelte auf allen Vieren zur Toilette und übergab sich. Übergab sich, als müsste nicht nur der Mageninhalt hinaus, sondern alles andere auch. Gedärme, Eingeweide, das Leben selbst.
Ihr ungeborenes Kind.
Doch sie zerriss nicht. Bekam von irgendwoher ungeahnte Kräfte, das Kind blieb in ihr, sie spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, fuhr sich mit einer Bürste durchs Haar, richtete sich auf, schaute sich im Spiegel an. Ich habe es geschafft, dachte sie verwundert. Es hat geklappt.
Dann kehrte sie zurück zur Terrasse. Deckte Kanne, Tassen und Kuchen ab.
Warf die feingliedrige Orchidee in den Mülleimer und brachte ihn hinaus in den Abfall. Alle Spuren waren beseitigt.
29
D ie Boulevardzeitungen feierten Orgien.
BERÜHMTER FERNSEHSTAR ERSTOCHEN
stand auf dem Titelblatt der einen.
WICHS-WALTER ZERSTÜCKELT IN GEFRIERBOX
behauptete die andere. Insgesamt waren der Geschichte sechzehn Seiten gewidmet, und nachdem die Dokusoap Fucking Island inzwischen glücklicherweise im Volksgedächtnis in Vergessenheit geraten war, wurde sie nunmehr zur erneuten Begutachtung wieder hervorgeholt. Einigen zur Freude, anderen zur Warnung, wie man wohl annehmen konnte. Unter anderem wurde – in beiden Zeitungen – die traurige Neuigkeit bekannt gegeben, dass Miss Hälsingland’96, die zusammen mit dem Eishockeyhengst Gurkan Johansson vor so ziemlich genau neun Monaten den Pott mit 3.1 Millionen Kronen nach Hause getragen hatte und die just in diesen Tagen mit der Frucht der geglückten Liebesgeschichte des Paares niederkommen sollte, im Februar eine Fehlgeburt gehabt hatte – und im gleichen Atemzug Gurkan verlassen hatte zugunsten eines zwanzigjährigen, reichlich tätowierten Sängers einer Gothic-Hardrock-Band aus Skene.
Während er ein fünfzehnminütiges, verspätetes Mittagessen zu sich nahm – bestehend aus einem Käse-und einem Schinkenbrot, einer Banane sowie zwei Dezilitern Apfelsaft -, überflog Gunnar Barbarotti kurz beide Zeitungen und warf sie anschließend mit einer verärgerten Geste in den Papierkorb.
»Ja, wir sind Tagesgespräch, das lässt sich nicht leugnen«, stellte Eva Backman fest, die in diesem Moment durch die Tür hereinkam. »Wann ist die Pressekonferenz?«
»In einer Viertelstunde. Warst du bei den Vernehmungen dabei?«
Eva Backman zuckte mit den Schultern. »Nur kurz.
Weitere Kostenlose Bücher