Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
hatte Enskede vorgeschlagen, doch sie hatte sich für Marika entschieden. Widerstand.
»Nein«, hatte sie geantwortet. »Ich bin nicht glücklich. Ich will das Kind nicht.«
Sie begriff nicht, was in sie gefahren war. Sie hatte so etwas noch nie zuvor zugegeben. Aber gerade das war wohl Marikas Stärke. Eine ihrer Stärken, den Leuten die Wahrheit zu entlocken.
Sie hatte ihre raue Hand auf Kristinas Arm gelegt und ihr aus nur zwanzig Zentimetern Entfernung tief in die Augen geschaut.
»Es findet sich Rat«, hatte sie mit ihrem leicht anklingenden finnischen Akzent gesagt. »Glaube mir, kommt Zeit, kommt Rat. Du brauchst dich nicht zu beunruhigen, meine Liebe.«
Dann hatte sie gefragt, ob mit der Vaterschaft etwas nicht in Ordnung war. In welcher Hinsicht auch immer. Kristina hatte den Kopf geschüttelt und gedacht, dass hier nicht die Vaterschaft das Problem war, sondern der Vater selbst. Dort war der Wahnsinn beheimatet. Sie war mit einem Mörder verheiratet, und es war das Kind eines Mörders, das sie unter ihrem Herzen trug. Aber sie war in der Gewalt dieses wahnsinnigen Ehemann-Mörders, es war einfach nichts daran zu rütteln. Das war die Strafe der Götter, weil sie ein verbotenes Spiel gespielt hatte, und für den Rest ihres Lebens würde sie dem nicht entkommen können.
Doch nichts davon hatte sie Marika anvertraut. Auch das gehörte zu den Bedingungen, das Schweigen.
Sie nahm noch einen Schluck von ihrem Kaffee und schüttelte jetzt wieder in der Gegenwart angekommen den Kopf. Schluckte das heiße Getränk und auch den Kloß im Hals hinunter, wie sie es inzwischen schon gewohnt war. Betrachtete eine Weile zwei junge Frauen, die sich munter und eifrig am Nebentisch unterhielten, und dachte, wenn sie zehn Jahre später geboren worden wäre, dann hätte sie eine von ihnen sein können. Die Dunkelhaarige, wenn sie hätte wählen dürfen, sie hatte so ein ansprechendes Gesicht. In gewisser Weise sorglos, mit grenzenloser Zukunft vor sich und ohne schweres Gepäck.
Dann verging eine leere Sekunde, und danach tauchte der Plan wieder in ihrem Kopf auf.
Oder der PLAN, an den letzten Tagen hatte er sich in Versalien und kursiv gezeigt, was immer das zu bedeuten hatte. Wie ein Schild, das plötzlich von einem Scheinwerfer in ihrem Kopf beleuchtet wurde, mit genau diesen sieben Buchstaben in blutroter einprägsamer Schrift.
So war es anfangs noch nicht. Ganz im Gegenteil, als er sich das erste Mal gezeigt hatte, kam er wie ein Dieb in der Nacht, sich taktvoll heranschleichend, überhaupt nicht in der Absicht, bemerkt zu werden. Aber dann hatte er plötzlich auf eigentümliche Art und Weise an Rückgrat gewonnen, ließ sich plötzlich nicht mehr so einfach abweisen, blieb da und forderte Gehör, es war schon merkwürdig, wie ein … ja, wie ein Kavalier, der ihr den Hof machte und dem gegenüber sie sich nicht entscheiden konnte, ob sie ihn nun abweisen sollte oder nicht.
Ich bin deine einzige Alternative, pflegte er zu sagen. Dein einziger Weg hier heraus, Kristina. Du weißt das, du kannst selbst wählen, es jetzt zugeben oder in zehn Jahren. Aber früher oder später wirst du mich umarmen. Deine Feigheit bestimmt den Zeitpunkt, nichts sonst, du entscheidest selbst, wie viele Tage du noch weiter unter seinem Druck leben willst.
Mord, dachte sie. Ihn umbringen. Das ist es, was der Kavalier vorschlägt.
Doch keines dieser präzisierenden Worte stand vor ihrem inneren Auge in Kursiv oder Leuchtschrift geschrieben. Eher war das Gegenteil der Fall, sobald sie sie dachte, verblassten sie und verschwanden in ihrer eigenen Sinnlosigkeit.
Oder im Nebel ihrer Feigheit oder was immer das auch war.
Und dennoch war es doch genau das, was der PLAN beinhaltete. Das und nichts anderes.
Der Traum hingegen verblasste nie. Er wiederholte sich drei oder vier Nächte im Monat, und jedes Mal lag jedes einzelne Detail unverrückbar an seinem Platz. Nichts wurde verändert, alles war vorhanden … Jakob tritt ins Zimmer. Henriks entsetztes Einatmen, die sich lang hinziehenden Sekunden absoluten Schweigens und vollkommener Reglosigkeit … Jakobs Hände, die den Jungen aus dem Bett reißen, ihn brutal zu Boden werfen, das Knie auf dem Brustkorb, ihr eigener, unterdrückter Schrei.
Jakobs drei, vier harte Schläge mit der Faust, seine Hände um Henriks Hals, die Augen, die aus ihren Höhlen zu quellen scheinen, ihre eigene Unfähigkeit, irgendetwas zu tun, ihre in Ohnmacht zusammengebissenen Zähne und Jakobs letztendlichen
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