Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
Tatsache zu tun? Aber natürlich, das waren diese tiefgefrorenen argentinischen, die sie nach einer Klage von diesen Tanten hatten wegwerfen müssen, weil … nein, jetzt verlor er den Faden wieder. Woran hatte er gerade gedacht?
Ja, natürlich. An Kristoffer. Er glotzte wieder Fernsehen, der Junge, der bläuliche Schimmer aus seinem Fenster war nicht zu übersehen. Abgesehen davon, dass er ab und zu etwas zu essen in sich hineinstopfte und rausging, um heimlich zu rauchen, war das wohl das Einzige, was er zu Hause tat.
Womit er beschäftigt war, wenn er nicht zu Hause war, beispielsweise größere Teile des Wochenendes, darüber wollte Leif Grundt lieber nicht nachdenken.
Und es schien, als träfen ihre Blicke sich nicht mehr direkt. Nicht wie früher. Aber das lag wahrscheinlich auch in der Natur der Sache. Zu vermeiden, einander anzusehen, alles hatte seinen Preis.
Langsam halte ich es nicht mehr aus, dachte Leif Grundt, öffnete die Wagentür und stieg hinaus in den Regen. Verdammte Scheiße.
Er eilte die wenigen Schritte zur Haustür und trat schnell in den dunklen Eingang. Hängte seine Jacke auf, ohne Licht zu machen, und ging weiter in die Küche. Dort machte er das Licht über der Spüle an und stellte fest, dass Kristoffer Butter, Käse und Kaviar hatte draußen stehen lassen und dass die Geschirrspülmaschine wahrscheinlich voll war, da ein schmutziger Nudeltopf und ein Sieb in der Spüle lagen.
Es dauerte eine Viertelstunde, die Dinge in Ordnung zu bringen, danach ging er zu seinem Sohn. Wie erwartet lag der da und schaute sich einen Film an, aber immerhin war er auf Schwedisch. Einer der Schauspieler sagte: »Fahr zur Hölle, du verdammte Hure«, gerade als Leif Grundt die Tür öffnete. Immerhin etwas, dachte er und wunderte sich gleichzeitig darüber, was so beruhigend daran sein sollte, dass der Film auf Schwedisch war.
»Grüße von Mama«, sagte er.
»Okay«, sagte Kristoffer.
»Sie kommt morgen Abend nach Hause.«
»Ich weiß nicht, ob ich dann da bin«, sagte Kristoffer.
»Ja«, sagte Leif Grundt. »Nein, ich denke, ich werde mich aufs Ohr legen. Wann fängst du morgen früh an?«
»Morgen erst um zehn.«
»Soll ich dich wecken, wenn ich gehe?«
»Nicht nötig. Ich komme allein hoch.«
»Na gut. Dann sehen wir uns morgen Abend, nicht wahr?«
»Ich denke schon«, sagte Kristoffer Grundt.
Ich wünsche dir einen guten Nachtschlaf, mein geliebter Sohn, dachte Leif Grundt. Möge dich nichts Böses ereilen.
Doch er sagte nichts. Gähnte und schloß die Tür hinter sich, das war alles.
Er musste irgendwann im letzten Drittel des Films eingeschlafen sein, denn er wachte von der Musik auf, die das Schlussbild eines brennenden Hauses mit dem Nachspann begleitete. Es erschien etwas blöd, dem Text ausgerechnet diesen Hintergrund zu verpassen, dachte Kristoffer, da ziemlich viele Namen fast nicht zu lesen waren. Aber andererseits war es überhaupt ein ziemlich bescheuerter Film gewesen. Typisch schwedischer B-Film. Aber vielleicht lag es gerade daran – dass man die Namen all dieser Schauspieler und Kameraleute und Inspizienten und Regieassistenten und Tontechniker nicht so einfach erkennen konnte -, dass er im Bett liegen blieb und es trotzdem versuchte. Normalerweise verschwendete er keine Konzentration auf so etwas. Ein Name nach dem anderen … dass so verdammt viele Leute notwendig sein können, um so einen albernen Film zu drehen, dachte Kristoffer. Das hatte er sich noch nie richtig klargemacht. Dass es wirklich so viele waren. Cutter und Castingleute und Scriptgirl und Maskenbildner … während er dalag und mit halbem Auge all die Namen dieser unbekannten Menschen an sich vorbeiziehen ließ, dieser anonymen Filmunderdogs, da tauchte plötzlich ein Name auf, den er wiedererkannte.
Rimborg. Olle Rimborg.
Verdammt nochmal, dachte Kristoffer. Wo habe ich den denn schon mal gesehen? Oder gehört?
Bevor er hatte registrieren können, was dieser Olle Rimborg für eine Aufgabe in der wunderbaren Welt des Films gehabt hatte, war der Name bereits vom Bildschirm verschwunden.
Rimborg?
Er wühlte unter seinem Kopfkissen nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. Wünschte, er hätte einen neuen Film, den er sich hätte ansehen können, aber es war keiner auf Lager. Nur alter Plunder, den er schon x-mal angeguckt hatte. Es war erst Viertel vor elf, es wäre noch genügend Zeit für ein nettes Video, bei dem man einschlafen konnte.
Rimborg?
Er stand aus dem Bett auf.
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