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Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Titel: Mensch ohne Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Nesser
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Worte: So, ja, nun ist er tot.
    Seine schallende Ohrfeige und seine Spucke in ihrem Gesicht.
    Dokumentiert. Das war kein Traum, keine Aufnahme. Das war eine authentische – vollkommen authentische und detailgetreue – Erinnerungssequenz dieser Nacht. Wie Henriks toter Körper in das Laken gewickelt wird. Wie er über den kleinen Feuerbalkon in die Büsche gekippt wird. Zum Auto geschleppt wird. Niemand hat sie gesehen. Danach schlug er ihr noch einmal ins Gesicht und vergewaltigte sie. Um sieben Uhr saßen sie bereits im Speisesaal und frühstückten. Kelvin auch, in den rotlackierten Kinderstuhl gezwängt, er hatte die ganze Nacht wie ein Stein geschlafen. Um Viertel vor acht verließen sie Kymlinge.
    Um die Beerdigung des Körpers kümmerte er sich allein. Bis heute wusste sie nicht, wo Henriks Grab lag. Er war die ganze folgende Nacht fort gewesen, es war ihr klar, dass er sehr bedacht vorgegangen war. Vielleicht das Meer, vielleicht irgendein Wald in der Gegend von Nynäshamn, er kannte sich dort aus. Sie fragte nie, er würde es ihr sowieso nicht sagen.
    Und als er ihr die Rahmenbedingungen für die Fortsetzung ihres Lebens erklärte, war sie bereits vorher mit ihnen einverstanden gewesen.
    Wenn du mich entlarvst, dann entlarve ich dich.
    Ein paar Wochen später hatte er noch etwas hinzugefügt.
    Wenn du mich umbringst, dann gibt es Informationen in meinem Testament.
     
    Wenn du mich umbringst, dann gibt es Informationen in meinem Testament.
    Lange Zeit hatte sie das geglaubt. Lange Zeit hatte sie von diesem Dokument geträumt. Seiner Authentizität vertraut.
    Dass er es wirklich aufgeschrieben hatte. Zu einem Notar gegangen war und diesem einen zugeklebten Umschlag überreicht hatte: Erst nach meinem Tode zu öffnen. Oder: Zu öffnen in dem Fall, dass mein Tod durch unklare Umstände eingetreten ist.
    Jetzt zweifelte sie. Seit einiger Zeit hatte sie angefangen zu ahnen, dass es so ein Dokument gar nicht gab. Welches Interesse sollte Jakob haben, nach seinem Tod als Mörder entlarvt zu werden? Gab es tatsächlich irgendeinen Grund, sich selbst diesen Nachruf zu schreiben?
    Es war eine verdammt schwierige Frage. Tage und Wochen war sie mit ihr herumgelaufen und hatte sie gedreht und gewendet. Und es gab Folgefragen.
    Hasste er sie wirklich so sehr?, zum Beispiel. So sehr, dass er sie noch bestrafen wollte, wenn er selbst nicht mehr am Leben war?
    Warum sorgte er dann überhaupt dafür, sie an sich zu binden? Sie in diese Zwickmühle zu setzen. War es tatsächlich so einfach? Dass er eine Ehefrau haben wollte, die ihm niemals etwas verweigern konnte? Der gegenüber er das moralische Recht empfand, sie Nacht für Nacht zu vergewaltigen, so oft er Lust hatte.
    Vielleicht? Vielleicht war es ja so? Vielleicht war Jakob Willnius tatsächlich so beschaffen, so krank, dass er auf diese Art und Weise leben konnte – und wollte. Es gab einiges, das darauf hindeutete. Gewisse Männer haben so einen Kern.
    Aber es gab eine interessantere Folgefrage. Mit der Zeit, nachdem sie ein paar Mal darauf gewartet hatte, sie einige Wochen abgewogen hatte, wagte sie fast, sie zu einer Tatsache zu erklären.
    Das Wichtige, das wirklich Wichtige – von Jakob Willnius’ Standpunkt aus gesehen – war natürlich nicht, tatsächlich ein Dokument besagter Art zu verfassen, sondern seine Ehefrau davon zu überzeugen, dass ein derartiges Dokument existierte. Durch Letzteres band er ihr die Hände und verschaffte sich eine Lebensversicherung, nicht durch Ersteres.
    Oder?, fragte Kristina sich. Oder nicht? Oder? Oder nicht?
    Und durch dieses vorsichtige Aussprechen der Dinge, leise und kaum hörbar, durch die bejahende Antwort auf diese halb rhetorische, halb verzweifelte Frage, öffnete sich der Plan. Der PLAN.
    Sie trank einen Schluck Kaffee und schaute auf die Uhr. Es war zwanzig Minuten vor zwölf. Die schnatternden Freundinnen am Tisch nebenan waren durch einen müden Mann mit einem Berg von Einkaufstüten zu seinen Füßen ersetzt worden. Die Einkaufspassage wimmelte von Leuten. Jung, alt. Trocken, regendurchnässt. Männer, Frauen. Ich würde gern, dachte Kristina Hermansson und strich gedankenverloren mit der Hand über ihren angespannten Bauch, ich würde gern ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, mit einem dieser Menschen die Identität tauschen, ganz gleich, mit welchem.
    Dann stand sie auf, ließ ihren halb leergetrunkenen Pappbecher auf dem Tisch zurück und begab sich zu ICA, um ihren hausfraulichen Pflichten

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