Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
nachzukommen.
Aber wie?, dachte sie. Wie?
Leif Grundt fuhr den Volvo auf die Garagenauffahrt und schaltete den Motor aus. Er blieb sitzen, die Hände auf dem Lenkrad, nicht in der Lage auszusteigen. Es war halb zehn Uhr abends. Es war ein Donnerstag im November. Es regnete.
Das Haus lag im Dunkeln, abgesehen von Kristoffers Zimmer, ein bläuliches Licht verriet, dass er den Fernseher laufen hatte. Leif Grundt war müde, bis ins Mark hinein. Er war vor sieben Uhr aus dem Haus gegangen, hatte den Laden elf Stunden später verlassen und anschließend noch zwei Stunden lang in Vassrogga bei Ebba gesessen.
Sie verbrachte die Wochen dort, die Wochenenden mit der Familie. Ein privates Pflegeheim. Eine Art Intensivtherapie, er konnte nicht sagen, worum es sich dabei eigentlich handelte. Zwölf, fünfzehn Kilometer landeinwärts, irgendwo am Indalsälv. Das lief jetzt seit drei Wochen so, sollte noch weitere drei Wochen dauern. Jeden Donnerstagabend war ein Familiengespräch, er fuhr hin und versuchte nett und verständnisvoll zu sein. Das Nette kriegte er noch ganz gut hin, schlimmer war es mit dem Verständnisvollen. Er hatte nicht den Eindruck, als hätte seine Frau sichtbare Fortschritte gemacht.
Als er das vorsichtig dem Therapeuten darlegte, erwiderte dieser, ein sehr sanfter und sehr bärtiger Mann in den Sechzigern, dass Frau Grundt einen Sohn verloren habe und dass das seine Zeit brauche.
Leif Grundt hätte am liebsten geantwortet, dass dieser verlorene Sohn auch sein verlorener Sohn sei. Aber ihm war klar, dass man das dort nicht so sah.
Morgen Abend sollte Ebba nach Hause kommen, und er spürte, dass er dem mit gemischten Gefühlen gegenüberstand. Als bekämen Kristoffer und er plötzlich eine Verantwortung aufgebürdet. Die Verantwortung, Ebba bei Laune zu halten. Oder ihr unter die Arme zu greifen oder wie immer man es sehen wollte. Seit einiger Zeit tauchte immer wieder die gleiche Phrase in seinem Kopf auf. Manchmal bin ich deiner so leid, Ebba, verstehst du das nicht? - aber er wusste genau, wenn diese Worte es jemals schaffen würden, ihm über die Lippen zu rutschen, dann würde nichts mehr zu reparieren sein. Das würde der Nagel an ihrem ehelichen Sarg sein. Das Ende der Familie Grundt.
Aber vielleicht, dachte er, während seine Finger etwas gleichgültig das Lenkrad umklammerten, vielleicht ist sie schon gar nicht mehr zu retten.
Manche Familien ertragen eine Katastrophe, hatte er irgendwo gelesen, andere nicht.
Und nach allem zu urteilen, gehörte die Familie Hermansson Grundt zur zweiten Gruppe. Elf Monate hatte es gebraucht, vor einem Jahr hatte alles noch nach Wohlbefinden und eitel Sonnenschein ausgesehen, zumindest nach normalen Maßstäben und seinem eigenen bescheidenen Verstand. Eine Oberärztin, ein Supermarktleiter, ein Student in Uppsala und ein einigermaßen wohlgeratener Oberstufenschüler. Heute war der Student verschwunden, mit höchster Wahrscheinlichkeit tot, die Oberärztin auf dem Weg in ihre eigene Finsternis, und er selbst saß hier und schaffte es nicht einmal, aus dem Auto zu steigen.
So war die Lage. So war es gekommen.
Und Kristoffer?
Er traute sich gar nicht so recht, an Kristoffer zu denken. Klar war, dass der Junge angefangen hatte zu rauchen, dass er in ziemlich schlechten Kreisen verkehrte und dass sein Einsatz in der Schule zu wünschen übrig ließ. Sicher trank er auch ab und zu Bier und anderes. Leif wusste davon, und Kristoffer wusste, dass er es wusste, aber beide zogen es vor, so zu tun, als wenn nichts wäre. Zumindest kein Wort darüber fallen zu lassen. Es war schlimm genug mit allem anderen, bitte nicht noch mehr Probleme auf den Tisch. Immer noch war er in der Lage, den Jungen ab und zu in den Arm zu nehmen und ihm ein aufmunterndes Wort zukommen zu lassen, er hoffte, dass das auf die Dauer reichte. Sie hatten eine Art gentlemen’s agreement, das im Groben gesehen darauf hinauslief, dass sie nicht über das sprachen, was unangenehm war, und so taten, als regnete es.
Und regnen, das tat es wirklich. Leif Grundt konnte sehen, wie die Tropfen auf die Motorhaube spritzten und sich in einen dünnen Nebel verwandelten, der sich augenblicklich ins Nichts auflöste. Der Motor war noch warm. Warum sitze ich hier?, dachte er. In meinem dreiundvierzigsten Jahr sitze ich in meinem eigenen Auto in meiner eigenen Garagenauffahrt und glotze in den Regen. Missmutig wie ein gefangener Hummer. Warum? Warum sitze ich hier? Und was … was haben Hummer mit dieser
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