Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
legte ihr Besteck hin und wischte sich umständlich die Mundwinkel mit einer Serviette sauber. Betrachtete ihn noch kritischer als zuvor und seufzte.
»Worauf du dich berufst«, sagte sie langsam – und nicht ohne einen irritierenden Hauch von Amüsement im Ton, wie es Inspektor Barbarotti schien -, »ist also die Aussage einer früheren Ehefrau auf einem Hochzeitsfest. Ehemalige Ehefrauen lieben nicht immer ihre ehemaligen Ehemänner, vielleicht ist das neu für dich, aber …«
»Verdammt nochmal«, unterbrach er sie mit einer plötzlichen Verärgerung, die erstaunlich echt erschien. »Ich habe ja gesagt, dass das nur eine Überlegung ist. Es ist fast ein Jahr vergangen, seit Henrik Grundt aus der Allvädersgatan verschwunden ist, und wir wissen nicht mehr darüber, was da passiert ist, als... als was Asunanders Dackel über Frauenemanzipation weiß. Wenn du bessere Fäden hast, an die wir anknüpfen können, bist du herzlich willkommen, sie zu präsentieren.«
»Interessanter Vergleich«, sagte Eva Backman. »Und sorry, wirklich. Ich habe vergessen, dass du da eine schwache Stelle hast. Natürlich ist die Familienspur interessant.«
»Danke.«
»Aber ehrlich gesagt haben wir sie nie vergessen. Oder? Ich dachte nur, dass wir darin übereingekommen sind, dass es eine Sackgasse ist. Welches Motiv sollte dahinterliegen, dass einer von ihnen Henrik tötet? Oder dass dieser Jakob Willnius es getan hat? Haben sie sich überhaupt schon mal vorher gesehen, Henrik und dieser eklige Ex-Ehemann?«
Gunnar Barbarotti breitete die Arme in einer resignierten Geste aus.
»Keine Ahnung. Nein, ich nehme an, dass es wohl ein ziemlich optimistischer Gedanke war. Aber ich dachte, ich erwähne ihn dir gegenüber zumindest einmal.«
»Danke für das Vertrauen.«
»Bitte, bitte. Es wäre doch dumm, alle Einfälle in einem erbärmlichen Kopf eingesperrt zu lassen. In dieser Beziehung kannst du mir wohl wenigstens zustimmen?«
»Sehr dumm«, bekräftigte Eva Backman. »Und besonders in so einem Kopf. Ich verspreche dir, über die Sache nachzudenken. Geht das Dessert in die glamouröse Essenseinladung mit ein?«
»Kaffee geht mit ein«, sagte Gunnar Barbarotti entschieden. »Sonst nichts.«
Die ersten Tage – sogar die ersten Wochen -, nachdem sie mit dem Gedanken, ihren Mann zu töten, herumlief, spürte Kristina Hermansson eine Art sanfter Euphorie. Nicht viel, nicht mehr als ein dünner Hauch von Hoffnung eigentlich, doch der lichtete das Dunkel, und sie fühlte, wie ihr roboterartiges Dasein eine Spur von … von etwas Menschlichem gewann. Ihr Bewusstsein hatte eine Richtung gefunden. Der verkrampfte Zustand, an den sie sich schon gewöhnt hatte, diese langsam kreisenden Fäuste, eine im Magen, eine im Schlund – sollten sie vielleicht doch nicht für den Rest ihrer Tage mit zwingender Notwendigkeit verfolgen.
Wenn Jakob aus dem Weg geschafft war, konnte sie ihre eigene Buße angehen und sich ihrer eigenen Trauer widmen. Möglicherweise.
Doch dieser Zustand ging vorüber. Die Fäuste ballten sich erneut. Wenn sie mit ihrem zweieinhalbjährigen Kelvin auf dem Schoß dasaß und ihm in seine kalten, abwesenden Augen schaute, spürte sie, wie ihr ganzes Dasein von Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit erfüllt wurde. Es war erschreckend und trostlos. Das Leben war ein jämmerlicher Scherz. Ein zynisches Melodrama, dachte sie, das irgendein verbitterter, gescheiterter Fernsehdramatiker während betrunkener früher Morgenstunden zusammengekritzelt hatte, um Rache dafür zu nehmen, dass er selbst zu kurz gekommen war. Ja, an genau so einen Gott konnte sie tatsächlich glauben, einen vergrämten Clown, der die gesamte Schöpfung als Farce und eine einzige Verhöhnung ansah.
Sie hatte jetzt seit einem Jahr nicht mehr gearbeitet. Vielleicht hatte das mit Kelvin zu tun. Er war nicht wie andere Kinder; das war eine Wahrheit, die sie lange von sich gewiesen hatte, die aber inzwischen kaum noch von der Hand zu weisen war. Er hatte erst mit zwei Jahren angefangen zu laufen, und jetzt, ein gutes halbes Jahr später, sprach er immer noch nicht – nicht mehr als einzelne, zusammenhanglose und unbegreifliche Worte, die zu den überraschendsten Momenten auftauchen konnten. Er spielte nicht mit anderen Kindern, nicht einmal mit Emma, Julius und Kasper, die er jeden Tag bei der Tagesmutter drei Häuser weiter im Musseronvägen sah. Er spielte kaum allein, konnte zwar eine Weile mit Legosteinen bauen oder mit Fingerfarben malen, aber es
Weitere Kostenlose Bücher