Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
ihrem inneren Auge, wie die hilflosen, aber freundlichen Thailänder nicht in der Lage waren, Klarheit in die Geschichte zu bringen, und wie sie weinend an Bord eines Flugzeugs stieg, das sie fünf Tage früher als geplant zurück nach Schweden brachte. Wie die Boulevardpresse hier im Lande dem Fall eine Spalte oder zwei widmete, mehr nicht. Wie aufgewühlte Freunde anriefen und ihr Beileid ausdrückten.
Was sie brauchte?
Ein Messer und einen Spaten, dachte sie. Beides konnte man sicher überall in Thailand kaufen, und der Boden im Dschungel war zweifellos locker und leicht auszuheben, davon war sie überzeugt.
Auch die Tat selbst konnte sie vor sich sehen. Ein Messerstich in den Rücken während ihrer Nachtwanderung, vielleicht sollte sie zu einem Beischlaf unter den Palmen verlocken … sein Stöhnen, sein überraschter (hoffentlich entsetzter) Blick und das Blut, das aus ihm herausgurgelte, noch einige Stiche, dann eine Stunde graben und schließlich ein reinigendes Bad im Meer.
So einfach. So befreiend.
Als Leif Grundt einen Praktikumsplatz für Kristoffer im Konsum in Uppsala organisierte, hielt er das selbst für eine ausgezeichnete Idee. Die Praktikumswoche fiel auf den Monatswechsel November/Dezember, und wenn der Junge in diesem traurigen Herbst etwas brauchte, dann war es ein vorläufiger Ortswechsel. Darin hatten der Klassenlehrer und der Praktikumsberater ihm zugestimmt. Kristoffer auch, auf seine übliche, etwas lustlose Art.
Aber als er dann den Jungen in den Zug gesetzt hatte, am Samstag, dem 27. November, und anschließend selbst ins Auto stieg, um heim in den Stockrosvägen zu fahren, da spürte er plötzlich einen Kloß im Hals. Es war später Nachmittag. Schmutziges Dämmerlicht und ein feiner Nieselregen. Das Haus würde vollkommen leer sein. Kein Kristoffer. Kein Henrik. Nicht einmal eine Ebba. Seine Ehefrau hatte – auf Rat ihres bärtigen Therapeuten – beschlossen, das Pflegeheim an den letzten beiden Wochenenden ihrer Behandlung nicht zu verlassen. Offensichtlich meinte man, dass es ihr wieder schlechter ging, wenn sie zu Hause war. Leif Grundt hatte keinen Überblick darüber, was man da eigentlich in Vassrogga so tat, aber auf eine unbestimmte Art und Weise hatte er doch das Gefühl, dass man, was die Wochenenden betraf, die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ebba hatte bis jetzt nie Freude darüber gezeigt, freitagabends zurück zu ihm und Kristoffer zu kommen, und wenn er sie am Sonntagnachmittag wieder zurückfuhr, zögerte sie keinen Moment, die beiden wieder allein zu lassen. Ganz im Gegenteil, auch wenn sie weder das eine noch das andere äußerte, so gab es doch Zeichen dafür, dass sie es schön fand, wieder zurückzufahren.
Auf jeden Fall meinte Leif Grundt derartige Zeichen entdeckt zu haben.
Vielleicht konnten drei Wochen vollkommene Trennung sie auf bessere Gedanken bringen? Vielleicht waren zwanzig Tage ohne ihre gemarterte Familie genau das, was nötig war, damit etwas in Ebba Hermansson Grundt erschüttert wurde?
Aber wahrscheinlich eher nicht. Leif Grundt machte sich da keine Illusionen. In den letzten Tagen war diese gestickte Bordüre, die seine Oma über ihrem Bett im Krankenhaus hängen gehabt hatte – und die er Buchstabe für Buchstabe entziffert hatte, als er fünf Jahre alt war -, in immer kürzeren Abständen in seinem Kopf aufgetaucht.
Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.
Kluge Worte, die in der Stunde der Not Trost bieten konnten, dachte Leif Grundt. Wenn auch nicht besonders optimistisch gedacht.
Auf jeden Fall war die Lage nun einmal so. Er sollte eine ganze Woche allein im Haus sein. Während er die vertrauten Straßen zur Hemmanshöjden hochfuhr, durch einen immer stärker werdenden grauen Regen, versuchte er sich daran zu erinnern, wann so etwas schon einmal vorgekommen war.
Es war auf jeden Fall lange her. Unglaublich lange her. Und ganz allein war er nie im Stockrosvägen gewesen, das wusste er mit Sicherheit. Vielleicht ein paar Stunden, einen Nachmittag, aber eine ganze Woche? Nie.
Deshalb der Kloß im Hals. Es war natürlich kein Wunder. Leif Grundt hatte immer Probleme gehabt mit Menschen, die sich als Opfer sahen. Die den Umständen die Schuld gaben und sich selbst das Recht, verbittert zu reagieren. Aber gerade jetzt fühlte er, dass er diesem Empfinden verdammt nah kam, es war nicht leicht, einen optimistischen Blickwinkel zu finden, wenn es darum ging, die Lage zu beurteilen. Er war getroffen. Daran herrschte
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