Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Titel: Mensch ohne Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Nesser
Vom Netzwerk:
geworden. Tochter Lena-Sofie hatte keine unmittelbaren Ansprüche, weder sie selbst noch durch ihre Mutter, die anderen möglichen Erben – die Eltern Rosemarie und Karl-Erik – hatten das gleiche Desinteresse gezeigt, und Notar Brundin hatte sich damit begnügt, Walters pekuniäre Hinterlassenschaft aufzulisten, gut viertausend Kronen, die er in zwei gleiche Teile geteilt und (erst nachdem er sein eigenes Honorar von dreitausendsechshundert Kronen abgezogen hatte) unter den Geschwistern verteilt hatte.
    Und Kristina hatte es also übernommen, sich um die Räumung der Wohnung zu kümmern.
    Walter war bereits einmal zerstückelt worden. Irgendwie fiel es ihr schwer, auch noch seine Hinterlassenschaft zu zerstückeln.
     
    Ein Stapel Reklame lag im Flur. Die Wohnung roch muffig. Sie hatte noch nie zuvor einen Fuß hineingesetzt, obwohl Walter anderthalb Jahre hier gewohnt hatte, in derselben Stadt wie sie. Es hatte keinen Sinn, sich jetzt deshalb Vorwürfe zu machen, und sie gab sich alle Mühe, das schlechte Gewissen beiseitezuschieben. Lief eine Weile herum und schaltete alle Lampen ein, die sie finden konnte. Zwei kleine Zimmer und eine winzig kleine Küche, das war alles. Sie waren seit elf Monaten nicht mehr betreten worden – bis auf einige Polizeibesuche. Sie beschloss, lieber nicht die Kühlschranktür zu öffnen.
    Wie erwartet war die Tristesse mit Händen zu greifen. Schmutzig und unordentlich. Billige Möbel, ausgefranste Kunstdrucke an den Wänden, nichts von Wert. Es gab natürlich einen Grund dafür, warum sie nie zu Besuch gekommen war, so lange er am Leben war. Gute Gründe, sie mochte ihren Bruder, wahrscheinlich mehr als alle anderen, doch das hieß nicht, dass sie sich in sein Leben einmischen wollte. Sich hatte einmischen wollen. Seit langer Zeit hatte sie sich nicht mehr vorgestellt, er könnte noch leben, aber gerade jetzt war es wieder so. Plötzlich fiel es ihr schwer, sich einzugestehen, dass er tot war. Dass er es bereits seit fast einem Jahr war. Walter, der Tollpatsch.
    Was mache ich hier?, dachte sie und biss sich auf die Lippe, um nicht anzufangen zu weinen. Was ist das für ein sinnloses Ritual, von dem ich glaube, ich müsste es hier absolvieren, indem ich seine Habseligkeiten durchwühle? Pflicht? Wohl kaum. Walter war nie ein Pflichtmensch, ganz im Gegenteil. Und sie auch nicht. Verbrenne den Mist, Kristina!, würde er sie wahrscheinlich auffordern, wenn sie die Möglichkeit hätte, ihn zu fragen. Wühl nicht im Dreck herum, du machst dich nur schmutzig!
    Im Wohnzimmer gab es zumindest ein einigermaßen geordnetes Bücherregal. Walter hatte einiges gelesen, vielleicht konnte sie ja ein paar Bücher mitnehmen? Aber warum? Welchen Sinn sollte das haben? Sie richtete ihren Blick auf den Schreibtisch. Er war groß und voll mit Gerümpel, aber ganz rechts, neben dem Computer, lagen zwei Stapel Papier, der eine kopfüber, wie es hieß, mit dem Text nach unten, der andere auf dem Rücken. War das etwa …? Plötzlich fiel ihr ein, dass Walter von einem Roman gesprochen hatte. Das konnte doch nicht …? Sie drehte das auf dem Bauch liegende Bündel um, so dass die Titelseite zum Vorschein kam. Legte die Stapel aufeinander und schaute auf die erste Seite.
    Mensch ohne Hund , stand dort
    Roman von Walter Hermansson.
    Natürlich, dachte sie, und etwas, das an Freude erinnerte, durchzuckte sie. Er hat doch erzählt, dass er daran arbeitet. Damals, vor Weihnachten, hat er davon berichtet.
    Hier, murmelte sie, während sie vorsichtig den dicken Stapel geradeschob, hier liegt deine Seele, Walter. Hier hast du sie hingelegt, damit ich sie nehmen soll. Danke, jetzt weiß ich, warum ich hergekommen bin.
    Sie stopfte das Manuskript in ihre Schultertasche, blieb noch einen Moment stehen und überlegte, ob sie damit ihre Schuldigkeit getan hatte. Ob nicht noch etwas anderes von ihr erwartet wurde als nur das? Mensch ohne Hund? Das geistige Testament ihres Bruders. Damit sie sich darum kümmerte und es für die Nachwelt verwaltete? Merkwürdig, zumindest merkwürdig erschien ihr das.
    Und während sie noch dastand, in dem schlampigen Wohnzimmer ihres Bruders mit seinem hinterlassenen Roman in der Tasche, klingelte ihr Handy in der Jackentasche im Flur. Eine Sekunde lang zögerte sie, beschloss dann aber, dranzugehen.
     
    Es war Kristoffer.
    Ihr Neffe Kristoffer Grundt.
    »Hallo, Kristoffer«, sagte sie überrascht. »Wie schön, dass du anrufst. Was hast du auf dem Herzen?«
    »Hallo«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher