Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
als sie zurückkam. »Entschuldige, Kristoffer.«
Er murmelte etwas als Antwort und betrachtete sie verstohlen. Ihr Gesicht sah rot geschwollen aus. Was ist denn bloß mit ihr los?, dachte er. Sie muss auf dem Klo gesessen und geheult haben. Sie räusperte sich und holte tief Luft. Sah ihn geradewegs mit glänzenden Augen an.
»Kristoffer, ich schaffe es nicht mehr.«
»Nein …?«, fragte er gedehnt.
»Als du angerufen hast …«
»Ja?«
»Als du vorgestern angerufen hast, da hatte ich ein Gefühl, als würde ich erschossen.«
»Was?«
»Oder als würde ich aus einem schlechten Traum aufwachen.«
»Ich verstehe nicht …«
»Nein, du kannst das nicht verstehen. Aber ich lebe seit elf Monaten in einer Hölle, Kristoffer. Ich lebe immer noch in ihr, aber gestern Abend ist mir klar geworden, dass ich es nicht mehr aushalte.«
Er erwiderte nichts. Begriff nicht, wovon sie sprach, und gleichzeitig hatte er das Gefühl, als ob … ja, er wusste nicht so recht, was für ein Gefühl es war, aber plötzlich meinte er, das alles wäre ihm vertraut. Etwas sehr Bekanntes, als ob … als ob jemand endlich die Lösung eines Rätsels sagte und man selbst einsah, dass man doch auch allein hätte drauf kommen können.
Aber nicht in diesem Augenblick, sondern in dem Augenblick davor.
»Wovon redest du?«, fragte er.
Kristina schüttelte den Kopf und saß eine Weile schweigend da. Sie sah ihn nicht an. Starrte auf ihre nicht angerührte Lasagne und hatte die Schultern hochgezogen, als fröre sie. So blieb sie eine Weile sitzen, vollkommen regungslos, dann räusperte sie sich und schien Kraft zu schöpfen. Zumindest ein wenig.
»Was wolltest du mich fragen, als du am Sonntag angerufen hast?«
»Das war … das habe ich doch gesagt«, erklärte Kristoffer.
»Sag es noch einmal«, bat Kristina.
»Okay. Es fing an mit Walters Beerdigung … im August. Als wir aus der Kirche kamen, erzählte Oma mir von einem, der Olle Rimborg hieß … und davon, dass er ihr etwas gesagt hat.«
»Oma?«
»Ja. Olle Rimborg arbeitet im Hotel in Kymlinge, und er hat Oma erzählt, dass dein Mann … also Jakob … dass er mitten in der Nacht zurück ins Hotel gekommen ist … in der Nacht, als Henrik verschwunden ist.«
Er machte eine Pause, aber Kristina gab ihm ein Zeichen, doch fortzufahren.
»Ich habe mir erst nicht so viel dabei gedacht, und ich weiß wirklich nicht, warum Oma mir das erzählt hat. Sie war ja etwas durcheinander … nein, ich habe mich erst einmal nicht drum gekümmert, aber vor ungefähr einer Woche habe ich im Fernsehen einen Film gesehen …«
»Einen Film?«
»Ja, und da tauchte Olle Rimborgs Name auf … in … wie heißt das … im Abspann. Und da ist es mir wieder eingefallen. Daraufhin habe ich diesen Olle Rimborg angerufen, das war … das war einfach so eine Idee.«
»Und?«, fragte Kristina, und obwohl es doch nur ein einziges kurzes Wort war, brach ihre Stimme wieder.
»Und er hat gesagt, dass es stimmt. Dass dein Mann um drei Uhr zurück ins Hotel gekommen ist und dass er sich gefragt hat, wieso …«
»Ja?«, flüsterte Kristina.
»Ja, das war alles. Plus, dass ich auch angefangen habe, darüber nachzudenken.«
»Darüber, warum Jakob um drei Uhr nachts zurück ins Hotel gekommen ist?«
»Ja.«
Kristina schob ihren Teller zur Seite und faltete die Hände vor sich auf dem Tisch. Es vergingen fünf schweigsame Sekunden. »Warum?«, fragte sie dann.
»Was?«, erwiderte Kristoffer.
»Warum hast du darüber nachgedacht, Kristoffer?«
»Ich … ich weiß nicht.«
»Doch, Kristoffer, ich glaube, du weißt es.«
Er spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Und seine Schläfen pochten.
»Ich habe momentan nicht viel anderes, worüber ich nachdenken könnte«, sagte er. »Das hat sich irgendwie so festgesetzt. Und es war ja …«
»Ja?«
»Es war ja genau die Nacht, in der Henrik verschwunden ist.«
»Sprich weiter.«
»Ich habe gedacht, dass es … dass es vielleicht einen Zusammenhang gibt.«
Bei den letzten drei Worten trug plötzlich seine Stimme nicht mehr. Einen Zusammenhang gibt , zischte er, und in dem Moment, als er sie hervorgebracht hatte, wusste er, dass das stimmte. Das war die Lösung des Rätsels. Das war die schreckliche Lösung, die Simsalabim dastand und an die Tür hämmerte, und es war Kristina, die ihre Hand auf der Klinke auf der Innenseite liegen hatte und sie jetzt öffnete... nein, das war ein merkwürdiges Bild, schließlich war es ja Kristina selbst, die die
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