Menschen lesen: Ein FBI Agent erklärt, wie man Körpersprache entschlüsselt
Lüge als solche zu durchschauen - viel schwerer, als die authentischen Verhaltensweisen zu deuten, die wir in diesem Buch besprochen haben.
Ich habe meine gesamte berufliche Laufbahn dem Aufdecken von Lügen gewidmet. Und gerade aufgrund meiner Erfahrungen als FBI-Agent mit dem Schwerpunkt Verhaltensanalyse weiß ich, wie schwer es ist, Täuschung, Betrug und falsche Aussagen zu erkennen. Nicht zuletzt aus diesem Grund habe ich beschlossen, dieses Buch mit einem Kapitel zu beenden, das sich ausschließlich damit beschäftigt, wie man mithilfe der Körpersprache zu einer realistischen Einschätzung kommt, ob jemand die
Unwahrheit sagt oder nicht. Es gibt zu diesem Thema schon unzählige Bücher und alle erwecken den Eindruck, es sei selbst für einen Anfänger kein Problem, jemanden der Lüge zu überführen. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass dem ganz und gar nicht so ist.
Ich glaube, dies ist das erste Mal, dass ein ehemaliger FBI-Agent und Spionageabwehrexperte, der darüber hinaus den Behörden und anderen Organisationen nach wie vor als Lehrer und Berater zur Verfügung steht, die folgende Mahnung derart deutlich ausspricht: Die meisten Menschen - sowohl Laien als auch Fachleute - sind nicht besonders gut darin, Lügen als solche zu entlarven. Leider habe ich über die Jahre hinweg viel zu viele Ermittler erlebt, die nonverbale Verhaltensweisen voreilig oder falsch gedeutet haben, mit der Folge, dass unschuldige Menschen sich unnötig unter Druck gesetzt oder sogar schuldig gefühlt haben. Immer wieder kommt es vor, dass haltlose Anschuldigungen - von Laien ebenso wie von Experten - das
Leben ganzer Familien ruinieren. Es sind schon zu viele
Menschen im Gefängnis gelandet, die nur deshalb falsche
Geständnisse abgelegt haben, weil ein Beamter eine Stressreaktion als Lüge fehlinterpretiert hat. Die Zeitungen sind voll von solchen Berichten. Nehmen wir etwa den in den USA bekannt gewordenen Fall eines Joggers im New Yorker Central Park, dessen Stressverhalten von der Polizei als Anzeichen für ein Täuschungsmanöver gedeutet wurde und der daraufhin unter Druck ein Geständnis ablegte (Kassin, 2004, 172-194; Kassin, 2006, 207-227). Ich hoffe, dass Sie sich als Leser dieses Buches ein realistischeres und ehrlicheres Bild darüber machen, was mit der Interpretation von Körpersprache möglich beziehungsweise nicht möglich ist - und ausgestattet mit diesem Wissen logisch und vorsichtig vorgehen, wenn Sie herauszufinden versuchen, ob jemand die Wahrheit sagt.
Täuschung: ein wichtiges Thema
Wir alle haben ein Interesse an der Wahrheit. Unsere gesamte Gesellschaft basiert auf der Annahme, dass die Menschen zu ihrem Wort stehen - dass die Wahrheit über die Lüge siegt. Und in der Regel ist dies auch der Fall. Wenn nicht, dann wären unsere vielfältigen Beziehungen nur von kurzer Dauer, der Handel käme zum Erliegen und unser Familienleben wäre von tiefem Misstrauen geprägt. Jeder von uns verlässt sich auf die Ehrlichkeit des anderen, denn wenn es keine Wahrheit gibt, dann leiden nicht nur wir, sondern die gesamte Gesellschaft. Als Adolf Hitler Neville Chamberlain anlog, war der Frieden dahin und über 50 Millionen Menschen bezahlten das mit ihrem Leben. Als Richard Nixon das Land anlog, fügte er dem Amt des Präsidenten, dem die Amerikaner zuvor mit großem Respekt begegnet waren, enormen Schaden zu. Als der Energiekonzern Enron seine Angestellten anlog, ruinierte er damit über Nacht das Leben von Tausenden. Wir verlassen uns darauf, dass unsere Regierung und Handelsorganisationen ehrlich und aufrichtig sind. Wir brauchen ehrliche Freunde und Familienangehörige und wir respektieren sie dafür. Die Wahrheit ist für jede Art zwischenmenschlicher Beziehung von größter Bedeutung, ob nun auf persönlicher, beruflicher oder staatsbürgerlicher Ebene.
Glücklicherweise sind die allermeisten Menschen ehrlich. Die häufigsten Lügen, die wir täglich zu hören bekommen, sind soziale oder kleine Notlügen, die uns vor der unverblümten Antwort auf Fragen wie »Sehe ich in diesem Kleid zu dick aus?« bewahren sollen. Wenn es um ernstere Themen geht, ist es aber ohne Zweifel in unserem eigenen Interesse, den Wahrheitsgehalt von Äußerungen zu bewerten und so weit wie möglich zu bestimmen. Das ist allerdings nicht ganz einfach. Über Tausende von Jahren haben die Menschen Wahrsager bemüht und andere fragwürdige Praktiken angewandt - etwa eine heiße Klinge auf die Zunge eines Delinquenten gedrückt -,
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