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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Politik, kombiniert mit der Neigung Brzezinskis, sich als Vertreter der Weltmacht ohne viel Aufhebens über die Interessen der deutschen Verbündeten hinwegsetzen zu können: etwas Vergleichbares hatte es im Verhältnis zwischen Washington und Bonn seit Johnsons Umgang mit Erhard nicht mehr gegeben.
    Schon in den ersten sechs Monaten der Carter-Administration wurden Meinungsverschiedenheiten sichtbar. Vergeblich forderte uns Carter wenige Tage nach seinem Amtsantritt im Januar 1977 durch seinen Vizepräsidenten Walter (»Fritz«) Mondale zu einer expansiven Geld- und Finanzpolitik auf. Dabei wurde uns für die gesamte westliche Welt eine konzertierte Keynessche Politik des deficit spending angetragen; wir verwiesen auf die daraus resultierende weltweite Inflation und lehnten ab. Wir widerstanden auch Carters Versuch, uns durch die Verweigerung der Lieferung nuklearen Brennstoffs zu zwingen, unter Bruch unseres mit Brasilien geschlossenen Vertrages diesem Land keine Technik zum zivilen Gebrauch der Nuklearenergie zur Verfügung zu stellen; nach dem Atomsperrvertrag waren wir zu solchen Lieferungen durchaus berechtigt.

    Auf dem Wege zum Doppelbeschluß
    Im Sommer 1977 traten die erwähnten Meinungsverschiedenheiten über die Antwort auf die sowjetische SS-20-Aufrüstung hinzu. Im September nahm ich mir viel Zeit, Brzezinski die strategische Lage meines Landes und des geteilten deutschen Volkes verständlich zu machen. Dabei spielte die politische Bedrohung der Bundesrepublik Deutschland durch die schnell wachsende SS-20-Armada der Sowjets die Hauptrolle. Der Erfolg meiner Mühe war gering. Brzezinski meinte, das alles sei doch gar nicht die Sache Bonns, sondern die der USA. Falls die Bundesrepublik von der Sowjetunion jemals mit den SS 20 unter Druck gesetzt werden sollte, so seien die USA mit Hilfe ihrer strategischen Nuklearwaffen in der Lage, dem zu begegnen. Carter pflichtete anfangs seinem Sicherheitsberater bei – wie Brzezinski hatte auch er keinerlei Verständnis für meine Sorgen; immerhin blieb er freundlich und verbindlich. Fünfzehn Monate später kam er allerdings zu einem ganz anderen Ergebnis – freilich erst nach einer Kette erheblicher zusätzlicher Meinungsverschiedenheiten und erst nachdem ich in einer Rede vor dem Internationalen Institut für Strategische Studien (IISS) meine Besorgnisse öffentlich plausibel gemacht hatte.
    Diese Rede, die ich am 28. Oktober 1977 in London hielt, ist später mitunter als die eigentliche Geburtsstunde des sogenannten Doppelbeschlusses bezeichnet worden, mit dem das Nordatlantische Bündnis Ende 1979 auf die SS-20-Aufrüstung geantwortet hat. Tatsächlich verfolgte ich – der Text ist eindeutig – nicht das Ziel, auf die sowjetische Vor-Rüstung mit einer westlichen NachRüstung zu antworten, sondern ich verlangte, die eurostrategischen Nuklearwaffen und ebenso die konventionellen Streitkräfte in Europa in die von den beiden Supermächten angestrebte Rüstungsbegrenzung von SALT II einzubeziehen. Darüber hinaus stellte ich die Forderung auf, die von Carter ins Gespräch gebrachte Einführung von sogenannten Neutronenwaffen (Enhanced Radiation Weapons, ERW) unter dem Aspekt zu prüfen, wie sich diese neuen Nuklearwaffen auf die Bemühungen um eine Rüstungsbegrenzung auswirkten.

    Im übrigen galt die Rede hauptsächlich den aktuellen Problemen der Weltwirtschaft. In diesem Zusammenhang kam eine Reihe von Themen zur Sprache, bei denen Bonn und Washington ebenfalls verschiedene Auffassungen vertraten, zum Beispiel in der Energiepolitik und über den Ost-West-Handel. Ich bemühte mich um einen verbindlichen Tonfall und vermied alle Spitzen; bewußt endete ich mit einander ergänzenden Zitaten aus jüngsten Äußerungen Carters und Breschnews. Gleichwohl erkannte die internationale Zuhörerschaft – zumal während der anschließenden Unterhaltung beim Abendessen –, daß der deutsche Bundeskanzler Akzente setzte, die sich von denen des neuen amerikanischen Präsidenten deutlich unterschieden.
    In Washington war man zunächst verblüfft, dann verärgert, schließlich betroffen. Danach kam es im Laufe des Jahres 1978 im Weißen Haus zu einem Prozeß des Umdenkens, was die sowjetischen eurostrategischen Waffen anlangte. Man begriff, daß die von uns so genannte »Grauzone« tatsächlich nicht vernachlässigt werden durfte (der Ausdruck bezog sich auf jenen Rüstungsbereich, der weder von den seit Jahren in Wien laufenden MBFR-Verhandlungen noch von den bisherigen

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