Menschen und Maechte
besser verstehen.«
Ich betonte noch einmal, es wäre gut, wenn die Sowjetunion erklärte, keine zusätzlichen SS 20 mehr stationieren zu wollen. Carter wiederholte, er könne diese Meinung nicht teilen, denn man könne lediglich den Bau der Stellungen verifizieren. Ich hielt dagegen, natürlich müsse eine sowjetische Zusage verifizierbar sein. An dieser Stelle schaltete sich auch Außenminister Muskie in das Gespräch ein; bei einem Moratorium würden die Sowjets verlangen, daß sich das auch auf die Fertigung erstrecken müsse. Dann aber würde ein Moratorium den Westen mehr benachteiligen als die Sowjetunion.
Schmidt: »Die sowjetischen INF sind nicht gegen die USA gerichtet, sondern auf Europa, auf den Mittleren Osten und auf China. Sollte wirklich keiner der Betroffenen das Recht haben, den Sowjets zu sagen: Hört auf mit der weiteren Stationierung der SS 20? Ich muß an dieser Stelle meine Frage wiederholen: ›Haben die USA wirklich die Absicht zu verhandeln?«
Carter erläuterte daraufhin das amerikanische Verhandlungsangebot an die Sowjetunion. Eine Rücknahme des NATO-Doppelbeschlusses
käme aber nicht in Frage. Ich unterstrich, daß auch wir eine Rücknahme ablehnten. Ich hätte den Eindruck, daß die Sowjets von ihrer Forderung, eine Rücknahme des NATO-Beschlusses sei Voraussetzung für die Aufnahme von Verhandlungen, möglicherweise abgebracht werden könnten. Wir müßten den Sowjets dieses Abrücken von ihrer eigenen Vorbedingung erleichtern. Auf meine Frage, ob die Sowjetunion vor der Ratifikation von SALT II über SALT III verhandeln würde, erwiderte Carter, das solle ich doch während meines Moskaubesuches herauszufinden suchen. Damit kam das Gespräch auf meinen Moskaubesuch. Ich erläuterte meine Absichten und schloß mit einer Punktation:
»Wir werden bekräftigen:
Die Sowjets haben keine Chance, zwischen uns Deutsche und unsere Alliierten einen Keil zu treiben.
Die Sowjets müssen verstehen, daß die Bundesrepublik Deutschland an ihrem Prinzip festhält, wonach in Europa und in der Welt ein Gleichgewicht notwendig ist und zwar als Vorbedingung für jede Zusammenarbeit mit der Sowjetunion. Ich ziehe übrigens den Begriff Zusammenarbeit dem Begriff Entspannung vor.
Die Sowjets sollen verstehen, daß wir deshalb am INF-Beschluß des Bündnisses festhalten, und
Sie sollen verstehen, daß wir mit nicht geringerer Entschiedenheit als irgend jemand sonst daran festhalten, die Invasion Afghanistans nicht akzeptieren zu können.
Sie sollen auch verstehen, daß wir mit der gleichen Entschiedenheit, mit der wir an der Atlantischen Allianz und an der EG festhalten, auch zur Schlußakte von Helsinki stehen, die von vierunddreißig Staaten unterschrieben worden ist, und ebenso zu unseren Verträgen mit der Sowjetunion, mit Polen und mit der DDR. Diese Verträge schließen die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Sowjetunion ein, im Rahmen sowohl des COCOM als auch des OECD-Konsensus.«
Ich schloß damit, daß am Ende meiner Moskauer Gespräche beide Seiten feststellen würden, es sei notwendig gewesen, miteinander zu sprechen und einander zuzuhören: Darin bestehe schließlich
die Kunst der Diplomatie. »Die Sowjets wünschen von uns eine Erklärung zu Sachfragen, aber ihr Entwurf ist für uns nicht akzeptabel. Wir bereiten vorsorglich eine Presseerklärung vor, welche sich auf die Darstellung des Besuches [in Moskau] beschränkt.«
Das Gespräch wandte sich dann der von Carter und mir gewünschten Kredithilfe für Polen zu, das in einer ersten Zahlungsbilanzkrise war. Schließlich kamen wir noch einmal auf Afghanistan und die Palästinafrage zurück. Am Ende zog ich eine Bilanz hinsichtlich der entscheidenden Punkte unseres Gesprächs. Ich hätte den Eindruck, daß wir in der Sache einig seien. »Wollen Sie dies nicht der Presse gegenüber festhalten? Sie könnten auch hinzufügen, daß Sie sich überzeugt haben, daß man deutscherseits vom INF-Beschluß nicht abweichen will. Und warum nicht eine positive Äußerung zu der Moskauer Reise von Genscher und mir?«
Carter nickte und zog seinerseits eine Art Bilanz zu Afghanistan. Das Land müsse vollständig geräumt werden, eine Anerkennung des Karmal-Regimes komme nicht in Frage.
Die Auseinandersetzung mit Jimmy Carter war mir viel wichtiger als der sachliche Inhalt des am nächsten Tag beginnenden Weltwirtschaftsgipfels. Zu Beginn jenes Sitzungsteils, der weltpolitischen Fragen gewidmet war, forderte mich Francesco Cossiga auf, einen
Weitere Kostenlose Bücher