Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
Vom Netzwerk:
und verhandeln und verhandeln, sagte er an einer Stelle. Genscher und ich flogen beruhigt und befriedigt nach Bonn zurück.
    Auch als ich knapp ein halbes Jahr später, nämlich Ende Mai 1981, meinen ersten offiziellen Besuch beim Präsidenten machte, tauchten keine Zweifel an seinem Willen zu Rüstungskontrollverhandlungen mit Moskau auf; dabei war mir besonders wichtig, daß Reagan sich am 22. Mai in einer gemeinsamen Erklärung dazu bekannte, »… beide Elemente des NATO-Beschlusses vom Dezember 1979 [des sogenannten NATO-Doppelbeschlusses] durchzuführen und ihnen gleiches Gewicht zu geben«. Beruhigend war, daß Außenminister Alexander Haig mit der Sowjetunion bereits erste Gespräche über die bevorstehenden Verhandlungen zur Begrenzung nuklearer Mittelstreckenwaffen aufgenommen hatte und daß Präsident Reagan mir zusicherte, die eigentlichen Verhandlungen würden noch vor Jahresende 1981 beginnen.
    Diese Zusicherungen waren für mich außen- wie innenpolitisch
von großer Bedeutung. Mein Vertrauen auf Reagans Verhandlungswillen schien gerechtfertigt, und zwar nicht nur gegenüber Breschnew, sondern auch was die wachsenden Zweifel in meiner eigenen Partei anlangte. Daß Reagans ganz neue Regierungsmannschaft vom Amtsantritt an etwa ein Jahr brauchen würde, um in konkrete Verhandlungen einzutreten, hielt ich für normal. Schließlich hatte mich vier Jahre zuvor die überstürzte Behendigkeit irritiert, mit der ein unzureichend vorbereiteter Präsident versucht hatte, ohne Rücksicht auf die Verhandlungen seines Vorgängers die Sowjetunion auf ein völlig neues Konzept festzulegen, mit dem er dann auch schnell gescheitert war.
    Obwohl ich erst im Herbst 1980 nach einem überzeugenden abermaligen Wahlsieg der sozial-liberalen Koalition zum dritten Mal zum Bundeskanzler gewählt worden war, knisterte es bedenklich in dieser Koalition. In beiden Koalitionsparteien formierte sich die Opposition gegen den Doppelbeschluß. Zugleich ergaben sich aus den durch den zweiten Ölpreisschock der Jahre 1979/1980 ausgelösten wirtschaftlichen Krisenerscheinungen immer wieder Meinungsverschiedenheiten über die zweckmäßige Wirtschaftspolitik von Bundesregierung und Bundesbank. Die Führer der großen Gewerkschaften und selbst die DGB-Spitze mit Heinz Oskar Vetter und Aloys Pfeiffer, die bis dahin zu meinen zuverlässigen Stützen gehört hatten, wurden angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit nervös. Sie wußten genau wie ich, daß mit nationalen Mitteln gegen die Wirkungen weltweit exorbitanter Ölpreise und Hochzinsen in Wahrheit nichts Wesentliches auszurichten war. Zwar hatten wir Deutschen noch immer die niedrigsten Inflationsraten und zugleich die niedrigsten Arbeitslosigkeitsraten in der Europäischen Gemeinschaft; aber die Gewerkschaftsführer standen unter dem Druck ihrer Mitglieder und Funktionäre.
    Schlimmer noch war die wachsende Tendenz einiger Redner des linken Flügels der Sozialdemokratie einschließlich des Kreises um den Vorsitzenden Willy Brandt, welche den Verdacht nahelegte, die USA und die Sowjetunion sollten mit zweierlei Maß gemessen und die Bundesrepublik am Beispiel des Doppelbeschlusses als bloßer Brückenkopf amerikanischer Interessenwahrung in Europa dargestellt werden. Auf dem linken Flügel der SPD wollte man den Doppelbeschluß am liebsten ersatzlos gestrichen sehen; die Sowjetunion erschien in einigen Reden beinahe als weniger gefährlich als die USA unter Reagans Führung. Die neue äußerste Linke der bundesrepublikanischen Politik, nämlich die Partei der Grünen, ging ihrer ökologisch-anarchisch-pazifistischen Grundhaltung entsprechend noch sehr viel weiter; und einige Linke innerhalb meiner eigenen Partei begannen zu versuchen, den Grünen opportunistisch den Rang abzulaufen.

    Abb 27 Nach einem überzeugenden abermaligen Wahlsieg der sozial-liberalen Koalition wurde Helmut Schmidt im Herbst 1980 zum dritten Mal zum Bundeskanzler gewählt. Die Wirtschaftspolitik und der Doppelbeschluß standen im Mittelpunkt seiner Regierungserklärung am 24. November.
    Die in beiden Koalitions-parteien sich formierenden Widerstände gegen den Doppelbeschluß und die Tatsache, daß Außenminister Genscher seit dem Sommer 1981 öffentlich von der Notwendigkeit einer »Wende« sprach, zwangen Schmidt im Frühjahr 1982, die parlamentarische Vertrauensfrage zu stellen. Am 1. Oktober 1982 schließlich zerbrach die Koalition – nicht zuletzt am Kalkül der FDP, mit einer gewissen Regelmäßigkeit den

Weitere Kostenlose Bücher