Menschen und Maechte
einfachen, griffigen, plakativen Formeln.
Ronald Reagan ist darin ein Meister. Er ist als Populist wesentlich erfolgreicher, als es Carter war – und dieser stellte als Populist bereits Ford und Nixon in den Schatten. In Michail Gorbatschow hat die Sowjetunion erstmals einen Führer, der mit dem Fernsehen ebenfalls virtuos umgeht; er ist durchaus befähigt, sowohl sein sowjetisches als auch das westliche Fernsehpublikum zu beeindrukken. Reagan hingegen zielt fast ausschließlich auf die amerikanische Wählerschaft und vernachlässigt dabei die Tatsache, daß allzu einfache Gedankenführung und eine allzu schlichte Sprache in Europa weit weniger gut ankommen als in Amerika.
Reagans Verzicht auf Pomp und künstliche Würde kommt ihm bei seiner Wirkung in den USA zugute. Auch im persönlichen Umgang ist er ungekünstelt, freundlich, bescheiden und tolerant; seine Sprache ist unkompliziert. Mit einem Wort: als Gesprächspartner ist Ronald Reagan angenehm, wenngleich nicht sonderlich
anregend. Diesen Eindruck hatte ich schon im Herbst 1978, als Reagan – damals in Vorbereitung seiner Präsidentschaftskandidatur – mich im Bundeskanzleramt besuchte.
In zwei wichtigen Punkten stimmten Reagan und ich damals überein. Der erste betraf die Notwendigkeit der Inflationsbekämpfung; die USA hatten damals – nicht nur als Folge der ersten Ölpreisexplosion von 1973/74, sondern auch als Erbe der inflatorischen Finanzierung des Vietnamkrieges – eine Inflationsrate von etwa neun Prozent, die unsrige lag knapp über zwei Prozent. Der zweite Punkt betraf Carters Behandlung der eurostrategischen Mittelstreckenwaffen bei SALT II; Reagan kritisierte Carter, weil dieser die Sicherheitsinteressen der Europäer nicht genügend berücksichtige und die SALT-II-Verhandlungen mit den Sowjets ausschließlich bilateral behandelte. Natürlich rannte er damit bei mir offene Türen ein.
Allerdings waren wir 1978 bezüglich SALT II in der Hauptsache nicht einer Meinung gewesen, denn Reagan lehnte SALT II in der sich damals abzeichnenden Form ab. Ich dagegen hoffte auf einen Abschluß und meinte, die Versäumnisse bei SALT II müßten später bei SALT III bereinigt werden; ein Mißerfolg von SALT II aber würde weltweit die Unfähigkeit der beiden Supermächte dokumentieren, ihre Verpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag zum Abbau ihres nuklearen Waffenpotentials zu erfüllen. Dadurch würden die globalen Unsicherheiten vergrößert werden. Gut zwei Jahre später, nach Reagans Amtsantritt, zeigte sich, daß er Carters SALT-II-Abkommen aus denselben Gründen tatsächlich honorierte, obwohl das Abkommen nicht ratifiziert worden war.
Vor seinem Amtsantritt hatte ich Reagan noch zwei weitere Male getroffen, zuletzt anläßlich meines Abschiedsbesuchs bei Carter Ende November 1980. Reagan war schon gewählt, aber noch nicht im Amt. Er bewohnte vorübergehend das kleine Jackson House, wenige Schritte und nur eine Straßenecke entfernt vom offiziellen Gästehaus Blair House, in dem ich wohnte. Das Gespräch – wie auch weitere Gespräche mit seinen damaligen Beratern William Casey, Arthur Burns, Alan Greenspan, Richard Allen, Caspar Weinberger sowie mit dem neuen Mehrheitsführer Senator Howard
Baker – drehte sich erneut auch um ökonomische Fragen. Die noch in der Formierung begriffene neue Mannschaft wollte Steuersenkungen, eine Senkung der Inflationsrate und ein höheres Verteidigungsbudget miteinander verbinden. Mir erschien dieses Konzept reichlich optimistisch (wenige Monate später erklärte mir der neue Verteidigungsminister Weinberger, sein Verteidigungshaushalt werde im nächsten Haushaltsjahr real um sechzehn Prozent steigen, in den folgenden Jahren um real sechs bis sieben Prozent!).
Aber ich hielt mit meiner Kritik zurück und konzentrierte das Gespräch mit dem »President elect« auf die Notwendigkeit einer Rüstungsbegrenzung. Ich war überzeugt, daß der Wirklichkeitssinn des Politbüros sich durch Reagans harte antisowjetische Wahlkampfpolemik nicht von Verhandlungen mit dem neuen Präsidenten würde abschrecken lassen. Eher schon war mir ungewiß, ob Reagan verhandeln wollte. Er zerstreute jedoch Genschers und meine Besorgnis durch die sehr impulsive, offenbar aus seinem politischen Instinkt kommende Selbstverständlichkeit, mit der er über die bevorstehenden Verhandlungen zur Rüstungsbegrenzung sprach; er werde sie mit entschiedenem Nachdruck und großer Ausdauer und Zielstrebigkeit führen. Wir werden verhandeln
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