Menschen und Maechte
zweitens, sein unerschütterlicher Glaube an die Überlegenheit jener Faktoren und Fähigkeiten, welche im Laufe von zweihundert Jahren sein Land groß gemacht haben, nämlich Kapitalismus und freies Unternehmertum, Optimismus und moralischer Idealismus sowie die Neigung zur bloßen Stärke und sogar zur Selbstjustiz, wo Rechtsprechung nicht vorhanden ist; drittens, eine erstaunliche Fähigkeit, seine Landsleute genau so anzusprechen, wie sie auch untereinander reden.
Diese letzte Fähigkeit kam besonders im Fernsehen zur Geltung. Millionen und aber Millionen von Amerikanern konnten sich in Reagan wiedererkennen. Johnson und Nixon waren ihnen als nicht ganz durchschaubare Taktiker erschienen; Ford hatte nicht genügend Zeit, ein eigenes Image herzustellen; Carter wollte bekehren, dem amerikanischen Fernsehpublikum erschien er nicht als ein souveräner Mann, der über den Dingen stand. Bei Reagan dagegen hatten die Amerikaner das instinktive Empfinden: Das ist einer von uns, dem kann man vertrauen. Das Vertrauen in die Person des Präsidenten war typischerweise immer größer als die Zustimmung zu seiner Politik, sei es zu seiner Politik der Beschneidung der Sozialausgaben zugunsten des Verteidigungshaushaltes, zu seiner Politik gegenüber Nicaragua oder seiner Haushaltsdefizitpolitik.
Ich halte es für denkbar, daß die Amerikaner, der voraussehbaren düsteren Folgen seiner waghalsigen Budgetpolitik wegen, Ronald Reagan schon bald nach Ende seiner zweiten Amtsperiode als verantwortlichen Urheber drückender Inlands- wie Auslandsverschuldung scharf kritisieren werden (sofern sie zurückblicken sollten, was nicht unbedingt eine amerikanische Stärke ist). Dennoch darf man sich nicht darüber hinwegtäuschen, daß Reagan in den ersten sechs Jahren seiner Amtszeit sein Volk deutlicher repräsentierte als irgendeiner seiner Vorgänger seit Kennedy. Die Amerikaner fühlten sich durch ihn bestens vertreten.
Dies gilt sogar für manche seiner sehr differenziert denkenden und urteilenden Landsleute. Ich war sehr verblüfft, als ich schon
1979 George Shultz von Reagan als von einem »leader« sprechen hörte. Ich war noch mehr erstaunt, als mir Lauris Norstad, der Reagans Kandidatur keineswegs favorisiert hatte, im Herbst 1981 erklärte, er halte Reagan für den ersten wirklichen politischen »leader«; seit langem habe Amerika ein solcher Führer gefehlt. Im übrigen bedeute dies auch für den Westen insgesamt die große Chance, die Lage der Welt einmal mit neuen Augen zu betrachten. Fünf Jahre später hatte ich mit einem welterfahrenen amerikanischen Freund ein Gespräch über den Präsidenten; ich beklagte dessen simplistische Urteile auf dem Hintergrund von Schwarzweißgemälden der Welt. Mein Freund erwiderte: »Sie haben durchaus recht, aber Reagan hat den richtigen politischen Instinkt.«
Dieser Feststellung ist, was Reagans Fähigkeit betrifft, durch das Medium Fernsehen zu regieren und zu führen, nichts entgegenzusetzen. Schon Kennedy hatte sich des Fernsehens geschickt bedient; aber inzwischen gibt es in den USA bald ebenso viele Fernsehgeräte wie Einwohner, das Fernsehen ist ubiquitär und nahezu omnipotent. Reagan verstand es in meisterhafter Manier, seine Fernsehminuten ungewöhnlich wirksam zu nutzen. Freilich hat das gefährliche Kehrseiten. Zum einen wurde die durch Reagans Darstellungskunst zu erzielende Publikumswirkung für seinen Stab ausschlaggebend bei der Frage, ob eine bestimmte Politik verfolgt oder verworfen werden soll; sachliche und substantielle Bewertungskriterien traten dagegen zurück. Nicht ob eine Politik notwendig war, sondern ob sie beim Publikum »ankam«, wurde entscheidend. Zum anderen braucht, wer als Politiker etwas sagen muß, was dem Publikum oder einem wesentlichen Teil desselben unerwünscht oder unbequem erscheint, wer Thesen vertritt, die Kritik oder gar eine öffentliche Debatte provozieren, nicht nur Eloquenz, sondern auch Zeit. Aber im Fernsehen gibt es sehr viel weniger Zeit, als man sie für die Lektüre einer Zeitung braucht. Infolgedessen verzichtet Ronald Reagan auf unangenehme Wahrheiten.
Fernsehjournalisten stellen zu einem aktuellen Ereignis gern eine einzige, bestenfalls zwei oder drei Fragen, deren Beantwortung dann in den aktuellen Nachrichten- oder Magazinsendungen des
gleichen Tages untergebracht wird. Wenn ich die Frage stellte, wie lang denn meine Antwort sein dürfe, gab es zwei typische Auskünfte: Entweder hieß es: »Eine Minute und dreißig
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