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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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zwischen den Außenministern der USA und der Sowjetunion nach dem Abschuß des koreanischen Verkehrsflugzeuges und sein Embargo gegen Polen, nach der Verhängung des »Kriegsrechtes« durch Jaruzelski. Die Invasion Grenadas verfolgte auch den Zweck, von den demütigenden Bildern der Sprengung amerikanischer Kasernen im Libanon abzulenken.
    Die Wirksamkeit des Fernsehens beschleunigt und provoziert politische Entscheidungen, die eigentlich mit größerer Sorgfalt getroffen werden sollten; Reagans übereilte Fernsehankündigung von SDI mitten in einem öffentlichen Haushaltskonflikt ist dafür ein Beispiel. Das Fernsehen verlangt Aktion auch in solchen Fällen, in denen leise Diplomatie viel eher zum Erfolg führen könnte; ein Beispiel hierfür ist Carters miserabel vorbereiteter militärischer Rettungsversuch für die Geiseln in Teheran.
    Viele Europäer sind oft schockiert, wenn im Weißen Haus »aus der Hüfte geschossen« wird. Sie übersehen dabei, daß auch wir in Europa auf dem Wege von der parlamentarischen Demokratie zur Fernsehdemokratie unaufhaltsam fortschreiten; auch in Europa werden Ansprachen der Regierungschefs, ihre Pressekonferenzen und vor allem ihre Fernsehauftritte in immer bedenklicherer Weise von Textern, Regisseuren, Beleuchtern und Maskenbildnern inszeniert. Auch bei uns erzwingt das Fernsehen durch seine Berichte schon längst andere Tagesordnungen für die politische Führung, als sie in der Zeitungs- und Radiodemokratie üblich waren. Zwar sind unsere Regionalzeitungen in ihrer politischen Berichterstattung einstweilen noch den amerikanischen Regionalblättern haushoch überlegen, und der politische Teil der europäischen Lokalpresse wird durchaus auch gelesen. Aber auch in Europa ist das Bild einprägsamer als das Wort, und erst recht das sich bewegende, farbige Bild, das mit dem gesprochenen Wort vor unsere Augen tritt. Der politische Siegeszug der »Bild«-Zeitung in Deutschland oder des »Daily Mirror«, später der »Sun« in England, die zeitweilige Kioskherrschaft des Pariser »France-Soir« waren nur Vorspiel;
auch in Europa ist der politische Siegeszug des Fernsehens nur eine Frage der Zeit, trotz allem hinhaltenden Widerstand.
    In den USA ist der Triumph des Fernsehens als überragendes Instrument – und als Quelle! – der politischen Meinungsbildung schon vollendet. Reagan hat das als erster Präsident nicht nur verstanden, sondern auch voll genutzt. Seine Weltkenntnis war nicht größer als diejenige Carters, sein häufig wirklichkeitsferner Idealismus kaum geringer. Reagans Konservativismus tat seinem Lande nach den Carterjahren gut; Reagan war wesentlich stetiger als sein Vorgänger, bisweilen sogar störrisch. Auf die Interessen seiner Verbündeten in Europa, in Japan, Kanada oder Australien nahm er zwar nicht mehr Rücksicht als vor ihm Carter; aber die mit den USA verbündeten Regierungen waren erleichtert über seine höhere politische Kontinuität. Seine Qualität als Fernsehpräsident konnten (und durften!) sie jedoch nicht außer acht lassen. Der Mann wirkte durch seinen nach außen projizierten persönlichen Charakter, durch seine Einfachheit, seine klaren Grundüberzeugungen, an denen er festhielt, und durch seine offenbare Ehrlichkeit. Vor allem wirkte er durch seine Fähigkeit, das amerikanische Fernsehpublikum hinter sich zu versammeln und das Selbstvertrauen der Nation wiederherzustellen. Es bleibt abzuwarten, ob er den großen Vertrauensverlust überwinden kann, den er seit dem Herbst 1986 wegen der Waffenlieferungen an den Iran und nach Nicaragua durch eigene Naivität und Unaufrichtigkeit erlitten hat.

    Wie sehr Reagan selbst von den Fernsehbildern beeinflußt war, die seine Landsleute abends auf dem Bildschirm zu sehen bekamen, spürte ich zum ersten Male ganz deutlich während eines Besuches im Januar 1982, und zwar anläßlich der Ausrufung des Kriegsrechtes in Polen. Meine Frau und ich hatten die deutsche Gewohnheit, zu Neujahr einen kurzen Winterurlaub im sonnigen Süden zu machen, auf Mallorca, in Ischia oder auf Gran Canaria. Dieses Mal waren wir auf der kleinen Golfinsel Sanibel in Florida gewesen; Reagan hatte davon gehört und mich gebeten, auf dem Rückflug in Washington vorbeizukommen, wo wir am 4. Januar eintrafen.

    Vierzehn Tage vor Weihnachten hatte Jaruzelski das Kriegsrecht ausgerufen. Reagan selbst hatte am 18. November eine umfassende außen- und sicherheitspolitische Rede gehalten, am 25. November hatte ich Reagan in einem langen

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