Menschen und Maechte
ökonomischen Politik spürte, Japan und Deutschland (manchmal auch die gesamte Europäische Gemeinschaft) zu Sündenböcken zu stempeln. Die Aufforderung, als »Lokomotive« der Weltwirtschaft zu agieren, haben wir in Tokio und in Bonn viele Male gehört, wenngleich die Wortwahl sich bisweilen unterschied; ebensooft wurde Japan genötigt, seine Exporte in die USA durch administrative Eingriffe selbst zu beschränken.
Immer wenn die USA mit Enthusiasmus ein neues ökonomisches Experiment auf den Weg brachten, forderte ihre Administration die übrigen Industriestaaten der Welt auf, ihrem Beispiel zu folgen. So geschah es Anfang der siebziger Jahre bei der Preisgabe des Systems fester (aber anpaßbarer) Wechselkurse à la Bretton Woods, dann in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre mit der Einführung des Carterschen Keynesianismus und abermals Anfang der achtziger Jahre mit Reagans »supply side economics« genanntem Keynesianismus. In allen diesen Fällen wurden wir zunächst aufgefordert, dem angeblich guten Beispiel der USA zu folgen. Aber jedesmal wurden wir einige Zeit später noch dringlicher aufgefordert, uns tatkräftig an der Reparatur der eingetretenen Fehlentwicklung der Weltwirtschaft zu beteiligen und dabei das Zugpferd abzugeben. Die Lokomotivtheorie ist inzwischen zu einer Seeschlange à la Loch Ness geworden; sie taucht immer wieder auf. Dem ersten optimistischen Appell zum Aufbruch folgte stets ein zweiter Appell zum Kurswechsel und zur Hilfestellung durch die anderen Industriestaaten, wobei deren eigene ökonomische Interessen übersehen wurden. Der dritte Akt bestand dann in einer dramatischen Zuspitzung der Interessenkonflikte; diese konnten im vierten und letzten Akt nicht wirklich gelöst werden, sie wurden mehr oder minder mit bloßen Absichtserklärungen überklebt.
Entwicklung des US-Dollarkurses
(Quelle: Deutsche Bundesbank)
Der amerikanische Enthusiasmus während des jeweils ersten Aktes riß jedesmal auch einige deutsche Wirtschaftsexperten mit. Im Falle der Wechselkursfreigabe waren es einige Ökonomieprofessoren, die gern das gleiche Boot bestiegen und mit Hilfe wissenschaftlicher Theoreme die Segel mit Wind zu füllen trachteten. Erst als sie nach einigen Jahren merkten, daß der Wegfall der Wechselkurs-und Zahlungsbilanzdisziplin den Regierenden vieler Staaten gleichzeitig die Hände freigab für eine inflationäre Haushalts- und Geldpolitik, steckten sie zurück. Im Falle des von Carter bewußt herbeigeführten Deficit-spending zollten bei uns manche Gewerkschaftsführer und viele Köpfe der politischen Linken Beifall; man verlangte von der Bundesregierung, sie solle mit großen, über drastische Ausweitung des Haushaltsdefizits zu finanzierenden Investitions-und Beschäftigungsprogrammen dem Defizitbeispiel der USA folgen. Im Falle der Reaganschen »Angebotspolitik« waren es vor allem die deutsche Industrie, die politische Rechte und die FDP sowie das Bundeswirtschaftsministerium und sein Chef Graf Lambsdorff, die darauf drängten, dem amerikanischen Steuersenkungsbeispiel
zu folgen. Erst spät erkannten sie, daß es sich bei »Reaganomics« im Kern um eine Neuauflage des alten inflatorischen Deficitspending handelte, wenn auch in neuartiger und attraktiverer Gewandung; während sie 1981 von Steuersenkungen in Deutschland träumten, die denen Reagans vergleichbar sein sollten, fingen sie Anfang 1982 an, mit Nachdruck eine sozialpolitisch und innenpolitisch riskante Verringerung des relativ geringen deutschen Haushaltsdefizits zu verlangen.
Tatsächlich hat die Bundesrepublik seit Beginn der Strukturkrise im Bereich der monetären und güterwirtschaftlichen Funktionen der Weltwirtschaft versucht, einen Kurs des mittleren Weges zu steuern. Gemeinsam mit Japan gehört Deutschland (wie auch Holland und einige andere Staaten) zu den am stärksten vom Auf und Ab und von der chaotischen Unordnung der Weltwirtschaft betroffenen Ländern. Wir haben beide so gut wie kein eigenes Erdöl; die USA und England sind in hohem Grade Selbstversorger, Frankreich steht eine weit ausgebaute Kernenergie zur Verfügung. Japan und Deutschland sind aber nicht nur auf Energieeinfuhr angewiesen und haben deren Preisschwankungen zu ertragen, sondern sie sind überhaupt – auch wegen des Fehlens nennenswerter eigener Rohstoffvorkommen – mit ihrer ganzen Volkswirtschaft in hohem Maße in die Weltwirtschaft integriert. Verglichen mit den USA geht ein anderthalb bis doppelt so hoher Anteil des
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