Menschen und Maechte
Interessen.
Frankreichs Tradition war nie freihändlerisch gesinnt, sondern seit Ludwig XIV. merkantilistisch orientiert. Dennoch verfolgten Giscard d’Estaing und ich ökonomisch meist die gleiche Linie, auch gegenüber den USA. Diese weitgehende ökonomische Übereinstimmung endete mit dem Amtsantritt Mitterrands. Er verband drei – verschiedenen historischen Wurzeln entstammende – Ideologien zu einem Gesamtkonzept, nämlich erstens, budgetären Keynesianismus; zweitens auf Verstaatlichung und zugleich auf Wohlfahrtsstaat hinauslaufenden Sozialismus; und drittens handelspolitischen Colbertismus. Das binnenwirtschaftliche Ergebnis der Mitterrandschen Politik war Inflationsbeschleunigung; ihre außenwirtschaftliche Konsequenz führte zu einem schnellen
Verfall des Francwechselkurses. Die bald notwendig werdende Korrektur dieser Wirtschaftspolitik erhöhte die französische Arbeitslosigkeit. Um so empfindlicher reagierte Mitterrand auf handelspolitische Bevormundungsversuche durch Reagan.
Im Juni 1982 führte der Weltwirtschaftsgipfel in Versailles infolgedessen zu einem frontalen Zusammenstoß der beiden Präsidenten. Das wenige Tage nach Versailles von Reagan verhängte sogenannte Röhrenembargo (ein irreführendes Wort, denn tatsächlich handelte es sich nur um Zulieferung einiger Pumpen) verschärfte die Situation, bis es zu bösartigen Polemiken auf allen Seiten kam. Reagans »Kreuzzug gegen den Osthandel«, wie er von einigen europäischen Zeitungen genannt wurde, machte sich vor dem amerikanischen Fernsehpublikum gewiß gut, denn für Laien war das ein leicht verständliches Konzept. Für die Sowjetunion bedeutete es nur eine Politik der Nadelstiche; den europäischen Bündnispartnern hingegen erschien dieses Konzept als Versuch, ihre Souveränität zu untergraben und die USA zum wirtschaftspolitischen Kommandeur der westlichen Welt zu machen. In den französischen Medien wurde damals ein auf die USA gemünzter Begriff populär: »économie dominante«, das will sagen: die USA als beherrschende Volkswirtschaft. Ein amerikanischer Politologe sprach ähnlich von einer »imperious économy«.
Nicht nur in Frankreich begegnete diese Vorstellung heftigem Widerspruch; auch in der übrigen westlichen Welt, von Canberra und Tokio über Ottawa bis nach Europa gab es keine Regierung, die bereit war, eine ökonomische De-facto-Souveränität der USA hinzunehmen. Zwar war uns allen die kraftvolle Präsidentschaft Reagans durchaus glaubwürdiger als die vorangegangene Ära Carters. Aber gerade auf ökonomischem Felde konnte Reagan weder Glaubwürdigkeit noch Legitimation erwerben.
Schon ein Jahr zuvor, im Sommer 1981, als sich abzeichnete, daß Reagan zwar relativ leicht seine großen Steuersenkungen durchsetzen konnte, keineswegs aber die dafür notwendigen Kürzungen der Haushaltsausgaben, als er noch dazu seine Verteidigungsausgaben in unerhörter Weise steigerte, konnte jeder unbeteiligte Beobachter ohne Risiko eine Prognose steigender Staatsverschuldung, steigender
Handelsbilanzdefizite und fallender Dollarwechselkurse abgeben (die beiden letzten Folgen traten erst mit ziemlicher Verspätung ein). Die Administration jedoch leugnete diese Zwangsläufigkeit. Man hatte dafür in einem gewissen Professor Laffer einen fabelhaften Eideshelfer gefunden; er bewies mit Hilfe einer von ihm erfundenen Kurve (»Laffer-curve«), daß Ausgabensenkung gar nicht nötig war, weil niedrigere Steuersätze angeblich zu höheren Einnahmen des Staates führen würden. Noch im Januar 1982 behauptete Finanzminister Donald Regan mir gegenüber, die von mir genannten Staatsdefizite in Größenordnungen von hundert Milliarden Dollar pro Jahr würden keineswegs eintreten; tatsächlich hat das amerikanische Staatsdefizit noch im selben Jahr hundert Milliarden Dollar weit überschritten, und in den nächsten Jahren stieg es schnell auf rund zweihundert Milliarden Dollar jährlich.
Die Budgetdefizite überforderten die amerikanische Ersparnisbildung und die Leistungsfähigkeit der amerikanischen Finanzmärkte bei weitem und lösten – bei nunmehr hohen Zinsen – einen unerhörten Kapitalimport aus. Daher sind heute und auf absehbare Zeit die USA der bei weitem größte internationale Schuldner (und zwar selbst unter Abzug aller amerikanischen Auslandsinvestitionen und -forderungen). Der recht lange anhaltende ökonomische Anfangserfolg und die durch Reagan bewirkte Wiedergeburt des typisch amerikanischen, optimistischen Selbstbewußtseins
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