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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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führten den Dollar zunächst auf Höhen, die er zuletzt 1970 gehabt hatte. Am 26. Februar 1985 stand der Dollar auf 3,47 DM. Aber Mitte 1987 war er – wie voraussehbar – auf 1,80 DM zurückgefallen. Die wichtigste Währung der Welt ist zur Wetterfahne geworden.
    Soweit ich sehen konnte, hatte es in den USA einige wenige Warner gegeben; dazu gehörten der Chairman des Council of Economic Advisers, Martin Feldstein, Arthur Burns (der neben seinem Botschafteramt in Bonn zugleich zu den Wirtschaftsberatern des Präsidenten gehörte) und vor allem Paul Volcker. Volcker war der einzige, dessen Argumentation nicht nur auf die vorhersehbaren Folgen für die USA, sondern auch auf die Konsequenzen für die Weltwirtschaft hinwies. Aber diese Stimmen gingen genauso unter wie diejenigen der europäischen Kritiker. Vielmehr ließen sich
Administration und Kongreß von einem Chor des Lobgesanges auf die neue ökonomische Politik täuschen. Der Chor umfaßte den Nobelpreisträger Milton Friedman und andere Professoren ebenso wie die für die Finanz- und Haushaltspolitik verantwortlichen Kabinettsmitglieder Minister Regan und Haushaltsdirektor Stockman; Senatoren und Kongreßabgeordnete trugen das Ihre zur Verbreitung dieser allgemeinen Euphorie bei. Bis tief in das Jahr 1984 hielt sie an; denn zu meiner und manch anderer Kritiker Verblüffung kam es im Laufe des Jahres 1982, ohne daß eine Finanzkrise eintrat, tatsächlich zur Überwindung der Wachstumsrezession und zu einem mehrere Jahre anhaltenden, großen Beschäftigungsboom der USA. Zwar stiegen Staatsverschuldung und reale Zinssätze wie erwartet, desgleichen die Defizite in der Leistungsbilanz gegenüber dem Rest der Welt. Aber die Welt war zunächst durchaus bereit, den USA in hohem Maße Ersparnisse, Kredite und Kapital zur Verfügung zu stellen.
    Eine Reihe von Faktoren wirkten zugunsten der USA, nämlich verstärkte Kapitalflucht aus Mittel- und Südamerika und die weltweite Unsicherheit über die Zukunft des Friedens (israelischer Einmarsch in den Libanon, Krieg zwischen Iran und Irak, amerikanische Drohungen gegen Libyen 1981, der Falklandkrieg zwischen England und Argentinien 1982, vor allem ein verbal sich zuspitzender Kalter Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion). Die steigende weltpolitische Ungewißheit ließ eine Kapitalanlage in den USA als sichere Zuflucht erscheinen. Dazu kamen die relativ hohen amerikanischen realen Zinsen; kurz vor dem Versailler Gipfel lag der reale Zins (der Zins nach Abzug der Inflationsrate) in den USA für langfristige Anleihen bei 5,6 Prozent, in Deutschland dagegen nur bei 3,3 Prozent. Der Zustrom fremder Gelder, die zwecks Anlage in den USA in Dollar umgetauscht werden mußten, führte zu einer erheblichen Dollarnachfrage und damit zu einem Anstieg des Dollarwechselkurses, und die Hoffnung auf weitere Kursgewinne zog abermals ausländische Ersparnisse an. Die USA konnten also zunächst scheinbar mühelos ihre schnell steigenden Leistungsbilanzdefizite finanzieren.
    Vor allem aber entfaltete sich binnenwirtschaftlich der Keynessche
Beschäftigungsmultiplikator, und die Arbeitslosigkeit sank deutlich. Zwar wurden die traditionellen Industrien im Osten und im mittleren Westen der USA von diesem Aufschwung nur schwach erfaßt; aber die neuen Technologien, weitgehend im Süden und vornehmlich im Westen angesiedelt, sowie eine erstaunliche Mobilität und lohnpolitische Zurückhaltung der amerikanischen Arbeitnehmer trugen ebenso zu dem anhaltenden Aufschwung bei wie das durch Reagan geschaffene neue Selbstbewußtsein und das Zukunftsvertrauen der amerikanischen Unternehmerschaft.
    Die europäischen Kritiker und unter ihnen auch ich hatten zwar einen amerikanischen Nachfrageaufschwung erwartet, gleichzeitig aber hatten wir eine relativ enge Geldversorgungspolitik durch die amerikanische Zentralbank unter Paul Volcker unterstellt. Keiner von uns hatte vorausgesehen, daß das Ausland die Finanzierungslücke in so hohem Maße ausfüllen würde. Mitte der achtziger Jahre verbrauchte der amerikanische Bundeshaushalt etwa ein Zehntel der gesamten Ersparnisse der ganzen Welt! Angesichts dieser scheinbar überaus günstigen amerikanischen Wirtschaftsentwicklung stießen die europäischen Warnungen in Washington weithin auf Unverständnis.
    Volckers harte Geldpolitik hatte die Inflationserwartungen merklich gedämpft; Präsident Reagan aber hielt die Inflationsreduzierung für einen Erfolg seiner Angebotspolitik. Er sagte mir nach einem

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