Menschen und Maechte
europäischer Massenarbeitslosigkeit zu bewegen und ihnen eine konzeptionelle und kooperative ökonomische Führung anzutragen, sind gleichfalls ohne Erfolg geblieben. Nachträglich und im Zusammenhang mit dem Verfall der westlichen Gesamtstrategie nach 1976 betrachtet, war dieses negative Ergebnis nahezu zwangsläufig. Henry Kissinger, inzwischen längst Privatmann, war unter den staatsmännischen Denkern in den USA der einzige, der die Notwendigkeit einer Führung der westlichen Welt auch auf dem Gebiet der Ökonomie erkannte. Wenn man George Shultz 1982 nicht zum Außenminister, sondern statt dessen zum »ökonomischen Zar« der USA gemacht hätte, so wäre dieses leistungsfähige, reiche und mächtige Land vielleicht in der Lage gewesen, an seine große Tradition in der ökonomischen
Führung der Welt anzuknüpfen, die mit den Konzeptionen des IMF, der Weltbank, des Marshallplanes oder der handelspolitischen »Kennedy-Runde« im Rahmen des GATT begonnen hatte.
Aber Carter und Reagan handelten ohne große Rücksicht auf ihre Wirtschaftspartner und hatten allein die vermeintlichen wirtschaftlichen Interessen der USA im Auge. Vorübergehende wirtschaftliche Erfolge täuschten sie darüber hinweg, daß das riesige Aggregat der amerikanischen Volkswirtschaft und die überragende Dollarwährung gewaltige Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben. Ihr Vorherrschaftsanspruch war ihnen bewußt, aber die daraus folgende Verantwortung wurde nur im kurzfristigen Eigeninteresse und nur von Fall zu Fall wahrgenommen.
Amerika hat noch nicht verstanden, daß rein nationale Wirtschaftsstrategien in der interdependenten Weltwirtschaft von heute ein Anachronismus sind. Wie in der außen- und sicherheitspolitischen Strategie die USA ohne die Kooperation mit ihren Partnern kaum in irgendeiner Ecke der Welt und jedenfalls nicht gegenüber der Sowjetunion erfolgreich sein können, so bedürfen sie auch zu ihrem wirtschaftlichen Wohlbefinden der Zusammenarbeit mit ihren Partnern.
Leider schrumpft die amerikanische Gesamtstrategie gegenwärtig immer mehr auf militärische Rüstungs- und Aufmarschstrategien zusammen. Wenn man in Washington von der Tatsache ausgehen würde, daß die sieben Teilnehmerstaaten der jährlichen Weltwirtschaftsgipfel zusammen weit mehr als die Hälfte des gesamten Sozialproduktes der Welt hervorbringen, so ließe sich eine Gesamtstrategie entwickeln, die auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik umfaßt – zum gemeinsamen Nutzen und zur Festigung des gegenseitigen Vertrauens zwischen den industriellen Demokratien, aber auch zur wirtschaftlichen Entwicklungshilfe und zur Sanierung solcher Elendsgebiete in der Dritten Welt, die sonst kommunistischer Ideologie und sowjetischem Einfluß anheimfallen könnten.
Hilfsbereit, großzügig – und rücksichtslos zugleich
Kurz vor dem Ende meiner Regierung las ich in der Sommerausgabe 1982 von »Foreign Affairs« einen Aufsatz Warren Christophers über das Zusammenspiel und die Spannungen in der auswärtigen Politik zwischen Kongreß und Präsident. Nach vier Jahren Dienst als stellvertretender Außenminister kam er zu einem Diktum, dem ich voll zustimme: »Wir haben bisher das Dilemma nicht lösen können, das in der Notwendigkeit liegt, das Gebot der Demokratie (imperative of democracy) mit der Forderung nach leadership in der Weltpolitik in Einklang zu bringen (reconcile).« Dieser Satz gilt nicht nur für das Verhältnis des amerikanischen Präsidenten, der eine weltweite Führungsrolle spielen will, zum Kongreß, er gilt ebenso für sein Verhältnis zum allgemeinen Medienpublikum.
Die Indiskretion der Inhaber von hohen Ämtern ist in den USA geradezu habituell; auf der anderen Seite steht die oft bedenkenlose Ausschlachtung aller zugänglichen Informationen durch die amerikanischen Medien. Beides macht es für die Administration schwer, komplizierte Situationen vertraulich zu analysieren, das eigene Ziel und mögliche Rückzugslinien vertraulich zu definieren und schließlich das angestrebte Ziel auf dem Wege vertraulicher Diplomatie zu verfolgen. Bonn ist gewiß eine geschwätzige Hauptstadt; aber im Vergleich dazu stellt die Geschwätzigkeit in Washington Rekorde auf. Das ist um so gefährlicher, als es inzwischen zu einer hochgradigen Abhängigkeit des Präsidenten von der durch die Massenmedien erzeugten Stimmung des Landes gekommen ist.
Die Abhängigkeit einer Regierung von der Stimmung des Medienpublikums charakterisiert alle Demokratien; sie ist ein
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