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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Weltherrschaft und schließlich der japanische Schlag von Pearl Harbor führten ein
zweites Mal zu einer enormen Anstrengung der USA, die Welt in Ordnung zu bringen. Seit 1937 setzte Franklin D. Roosevelt alles daran, sein Land moralisch zu mobilisieren, um es notfalls für den Eintritt in den Krieg gegen Deutschland und Japan reif zu machen; aber die isolationistische Stimmung der Bevölkerung stand gegen jede Einmischung in den fernen Krieg auf einem fernen Kontinent. Schließlich nahmen Berlin und Tokio in größenwahnsinniger Verblendung dem amerikanischen Volke die Entscheidung ab.
    Der Ausgang des Zweiten Weltkrieges aber hat die politische Struktur der Welt durchgreifend geändert. In weniger als drei Jahren wurde aus dem kriegsverbündeten Uncle Joe der gefährliche Gegner Stalin. Im Ergebnis ist die amerikanische Politik gegenüber der Sowjetunion während der letzten vierzig Jahre auf »containment« (Eindämmung) hinausgelaufen, ein Wort, das George Kennan kurz nach Ende des Krieges geprägt hatte. Den Amerikanern stellt sich die Struktur der Welt seit den späten vierziger Jahren als eine Konfrontation zweier Führungsmächte dar. Der dem amerikanischen Idealismus innewohnende Hang zu moralischer Schwarzweißmalerei verführt manche Amerikaner dazu, auch alle übrigen Nationen in zwei Kategorien einzuteilen: auf der einen Seite die Schlechten, die bereit sind, sich einer sowjetisch-russischen Führung zu unterwerfen; und andererseits die Guten, die zu Amerika halten. In beiden Fällen ist Amerika insgeheim von seiner eigenen Überlegenheit überzeugt; und mitunter äußert sich dieses nicht nur moralische, sondern auch materielle Superioritätsgefühl auch öffentlich und drastisch.
    Die europäischen Völker, die seit Jahrhunderten auf kleinem Raum eng beieinander leben, haben die Folgen der Kriege, die sie jahrhundertelang gegeneinander geführt haben, nicht vergessen; sie wollen zwar eine entschlossene Verteidigung gegen die Übermacht der Sowjetunion, aber sie schrecken vor einer Außenpolitik zurück, die das Risiko eines neuen Krieges in Kauf zu nehmen scheint. Deshalb kommt es immer wieder zu Kontroversen zwischen den europäischen Verbündeten und der Bündnisvormacht USA.
    Solange in Washington wie zu Zeiten Trumans, Eisenhowers, Kennedys und dann erneut in der Ära von Nixon und Ford das
welterfahrene, sich dem alten Europa verbunden fühlende alte Ostküstenestablishment ein wesentlicher Gestaltungsfaktor der amerikanischen Außenpolitik war, so lange konnten derartige Meinungsverschiedenheiten immer wieder begrenzt und auch überbrückt werden. Einem Manne wie Henry Kissinger mußte niemand die Gleichgewichtsvorstellungen der Europäer nahelegen. Sein Problem lag vielmehr darin, seinem eigenen Volke verständlich zu machen, daß ein Gleichgewicht der Kräfte nicht unmoralisch und deshalb verächtlich, sondern vielmehr aus Gründen der Vernunft geboten war, wenn man den nuklearstrategischen Frieden zwischen den beiden Giganten wahren wollte. Andere Politiker wie Dulles, später Brzezinski oder Perle und Weinberger, vor allem aber Carter und Reagan selbst hatten dagegen Mühe, ihre missionarischen Impulse einigermaßen unter Kontrolle zu halten. Da Westeuropa nicht im entferntesten daran denkt, sich an einer Weltmission par force zu beteiligen, wird es vorhersehbarerweise auch in Zukunft immer wieder Konflikte und immer wieder auch amerikanische Verachtung für die vermeintlich knieweichen Europäer geben. In solchen Momenten liegt für Washington die Vernachlässigung seiner europäischen Verbündeten nur allzu nahe. Zur Arroganz der vermeintlich überlegenen Moral gesellt sich dann leicht die Arroganz der real überlegenen Macht.
    Europa und seine Politiker täten gut daran, diese Veranlagungen Amerikas zu verstehen, damit sie in ihrer Antwort auf solche amerikanischen Verhaltensweisen beide denkbaren Extreme vermeiden lernen; denn weder dürfen die Staaten Westeuropas in die Rolle von abhängigen Schutzbefohlenen absinken, noch dürfen sie sich dem antiamerikanischen Wahn hingeben, die eigentliche Gefahr gehe nicht von der Sowjetunion, sondern vielmehr von den USA aus. Große Anstrengungen sind erforderlich, wenn wir Europäer auf das internationale Verhalten der USA ausreichenden Einfluß behalten wollen. In Europa bedarf es der stetigen innenpolitischen Erläuterung und Begründung des Bündnisses mit den USA, das die Europäer in Wahrheit genauso nötig haben wie die Amerikaner. In den

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