Menschen und Maechte
mit dem ich bereits zusammengekommen war und den ich seither häufig getroffen habe. Huang Hua ist ein erfahrener, kluger und zugleich angenehmer Diplomat; schon 1913 trat er als ganz junger Mann der Kommunistischen Partei bei. Er hatte in den dreißiger Jahren für Mao gedolmetscht, war in den fünfziger Jahren ein enger Mitarbeiter Zhou Enlais gewesen, hatte zahlreiche Botschafterposten bekleidet und war 1976 Außenminister geworden. Ich habe meine Unterhaltungen mit diesem sachlichen Manne sehr geschätzt. Heute ist er Vorsitzender des Ständigen Ausschusses des Parlaments.
1979 kam es freilich nicht so sehr auf ihn als vielmehr auf seinen Chef an. Nach drei offiziellen Gesprächen, an denen unsere Außenminister teilgenommen hatten, fanden Hua Guofeng und ich so viel Interesse aneinander, daß wir uns im Anschluß an ein Essen spontan zu einem ganz privaten Meinungsaustausch zurückzogen. Bevor die chinesische Delegation in Bonn eingetroffen war, hatte ich mit Valéry Giscard d’Estaing telefoniert, um zu hören, welchen Eindruck Hua in Paris hinterlassen hatte; und was Giscard berichtete, hatte mich neugierig gestimmt.
Schon in den offiziellen Delegationsgesprächen gab es zwei interessante Feststellungen: Nach der Zerschlagung der Viererbande gehöre die Theorie des Klassenkampfes der Vergangenheit an; China brauche auf lange Zeit Stabilität, um seinen inneren Ausbau voranzutreiben. Was die Außenpolitik betreffe, so habe man diese in zwei Begriffen zusammengefaßt, nämlich Bekämpfung des
Hegemonialanspruchs und Sicherung des Weltfriedens; freilich könne man eine friedliche und stabile internationale Lage nicht durch Gebete erreichen, man müsse sie vielmehr aktiv anstreben. Die These von der Unvermeidbarkeit des Krieges war offenbar in der Versenkung verschwunden.
Im privaten Gespräch ging es ausschließlich über die Weltlage und über die Position der wichtigsten Länder. Hua Guofeng fragte nach der Lage in den USA, und ich legte ihm meine Sicht der amerikanischen politischen Verhältnisse dar: »Sowohl der Krieg in Vietnam als auch Watergate haben zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Selbstverständnisses der Amerikaner geführt und darüber hinaus die innenpolitische Stabilität des Systems angenagt. Dies ist noch nicht ganz überwunden. Es fehlt noch die alte Homogenität der innen- und außenpolitischen Vorstellungen, die auch künftig notwendig sein wird. Das ist nicht nur ein Problem des Präsidenten Carter, sondern mehr noch eine allgemeine politische Bewußtseinskrise. Aber die amerikanische Nation hat eine hohe Vitalität. Mit ihrer Hilfe werden die USA in den achtziger Jahren zu ihrem vollen Gewicht zurückfinden. Andererseits hat die Sowjetunion die bisherige Führungsschwäche der USA erfolgreich ausgenutzt, in Angola, am Horn von Afrika, in Afghanistan und an vielen anderen Orten. In Ägypten, in Somalia und im Irak hat sie freilich erhebliche Rückschläge erlitten. Wie steht es aber«, fragte ich meinen Gast, »zwischen der Volksrepublik China und der Sowjetunion?«
»Wir wissen«, erwiderte Hua Guofeng, »daß es im Westen zwei entgegengesetzte Besorgnisse gibt. Zum einen fürchtet man, Beijing und Moskau könnten sich gegen Ende des Jahrhunderts verbünden und gemeinsam ein Übergewicht über den Westen erlangen. Zum anderen fürchten einige Westeuropäer, der Westen könnte in einen Krieg zwischen China und der Sowjetunion verwickelt werden. Wir halten einen Weltkrieg für unwahrscheinlich, auch wenn die internationale Lage noch labiler und gespannter werden sollte. Einige anglo-amerikanische und japanische Forschungsinstitute sagen zwar, ein dritter Weltkrieg könne Mitte der achtziger Jahre ausbrechen, weil dann die Sowjetunion den
Höhepunkt ihrer Rüstungsüberlegenheit erreichen werde. Und natürlich wird es Krisenpunkte geben, in einigen arabischen Ländern, in Südostasien, in Teilen Afrikas, im karibischen Raum, am gefährlichsten im Nahen Osten.
Aber China hat in den letzten Jahren seine Beziehungen zu den USA normalisiert. Zu Japan und zu Westeuropa bestehen gut entwickelte Beziehungen. Die Sowjetunion hat Angst vor einem Zweifrontenkrieg. Wenn China in den nächsten Jahren an Macht gewinnt, so wird Moskau nicht leichtfertig gegen Europa vorgehen. Für einen Krieg gegen China müßte Moskau seine Truppen an der Grenze von einer Million auf fünf bis sechs Millionen erhöhen; es müßte seine wichtigsten, bestausgerüsteten Truppen aus Europa abziehen. Das können
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