Menschen und Maechte
Südchinesische See entsandt. Aber das war alles. Sie haben eine ernste Prüfung bestanden [sollte heißen: einer ernsten Versuchung widerstanden], weil sie Angst haben vor einem Zweifrontenkrieg. Sie sind eine große Militärmacht; aber einen Zweifrontenkrieg können sie nicht wagen.«
Ich übergehe hier unsere Unterhaltung über Afghanistan, Iran, den Nahen Osten und die Ölversorgung, über die innere Lage in Laos und Kambodscha, die Rolle der ASEAN-Staaten und Japans sowie die Rolle der Dritten Welt und der Blockfreien. Bei allen diesen Themen zeigte sich der chinesische Parteichef und Ministerpräsident glänzend unterrichtet. Sein geostrategischer Überblick und die Fähigkeit zur Darstellung in vereinfachten, aber keineswegs simplifizierten großen Linien war ungewöhnlich, seine Offenheit erfrischend. Im Vergleich zu Maos apodiktischen Pauschalurteilen vier Jahre zuvor war dies besonders bemerkenswert.
Mir war klar, daß man Huas Vortrag auch als einen umfassend angelegten Versuch deuten konnte, mich – und andere europäische Führer, die etwa Ähnliches von ihm zu hören bekamen – für einen stärkeren westlichen Druck auf die Sowjetunion zu gewinnen; denn natürlich gilt auch in China, daß der Dritte sich freut, wenn zwei sich streiten. Andererseits handelte es sich um improvisierte nächtliche Unterhaltungen von ziemlicher Dauer, die im fest vereinbarten Besuchsprogramm ursprünglich gar nicht vorgesehen waren und auf die sich Hua Guofeng erst während des Abendessens hatte einstellen können. Wenn er mich gleichwohl – aus einem psychologisch-taktischen Konzept heraus – zu beeinflussen suchte, so war er auf jeden Fall ein Mann von ungewöhnlicher Kompetenz.
In den Mittelpunkt meiner Antwort stellte ich die personelle Situation in Moskau und die daraus entspringende Unsicherheit im Urteil des Westens. Ich sprach über die Lage in Europa, in der EG und ihren Mitgliedsstaaten, über die Folgen der Teilung Deutschlands, die deutsch-französische Allianz, die überragende Stellung Giscard d’Estaings, die militärischen Fähigkeiten der NATO und der Bundeswehr. Und ich sprach natürlich auch über die nuklearstrategische Situation, über SALT, über die neuen sowjetischen eurostrategischen Raketen SS 20, über die dadurch entstehende zusätzliche politische Verwundbarkeit der Bundesrepublik Deutschland und über den in acht Wochen bevorstehenden NATO-Doppelbeschluß.
Zu diesem letzten Punkt führte Hua Guofeng aus: »Gegen uns hat die Sowjetunion sowohl interkontinental-strategische Nuklearwaffen als auch Mittelstreckenwaffen in Stellung gebracht. Wir können dagegen nicht viel sagen, denn angesichts der Reichweiten dieser Raketen stehen sie weit von unserer Grenze entfernt … Unsere eigenen Nuklearwaffen sind denen der Sowjetunion oder der USA technisch weit unterlegen. Aber bei einem nuklearen Angriff auf China muß der Kreml damit rechnen, daß wir sowjetische Städte, auch Moskau, vernichten werden. Unsere Nuklearwaffen können durch einen sowjetischen ›first strike‹ keineswegs alle vernichtet werden; sie sind verdeckt, wie auch viele unserer Rüstungsfabriken, und von den sowjetischen Aufklärungssatelliten nicht auszumachen. Außerdem ist es unmöglich, unsere mobilen Systeme auf einen Schlag zu vernichten.«
Auf die von Hua in diesem Zusammenhang gegebenen technischen Erläuterungen möchte ich hier nicht eingehen. Er fuhr fort: »Als Breschnew in Amerika war, hat er Nixon gesagt, er würde gern mit ihm zusammen das nukleare Potential Chinas vernichten. Breschnew hat gefragt: ›Wie lange braucht China, um nuklear aufzurüsten? ‹ Nixon hat geantwortet: ›Zwanzig Jahre.‹ Breschnew hat erwidert: ›Njet, njet – nicht zwanzig, sondern zehn Jahre!‹ Deshalb hat man 1969 in Moskau ernsthaft darüber nachgedacht, das chinesische Potential zu beseitigen. Aber Breschnew weiß, inzwischen sind zehn Jahre vergangen und inzwischen ist es dafür zu spät…
Die Sowjets können das Risiko eines nuklearen Krieges mit uns nicht mehr eingehen.«
Ich fragte nach den chinesisch-sowjetischen Verhandlungen. Hua Guofeng antwortete: »Es geht nicht um eine Verlängerung des chinesisch-sowjetischen Freundschafts- und Beistandsvertrags; der war seinerzeit gegen Japan gerichtet, und inzwischen haben wir mit Japan einen Freundschaftsvertrag geschlossen. Außerdem hat die Sowjetunion ihren Vertrag mit uns längst mit Füßen getreten, obgleich er bis zum April 1980 gilt. Aber über das Verfahren gibt
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