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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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die Sowjets nicht, wenn sie sich dort nicht absolut sicher fühlen. Für uns steht fest, daß die Sowjetunion einen Zweifrontenkrieg fürchten muß. Deshalb glauben wir nicht, daß sie in den achtziger Jahren einen Weltkrieg vom Zaun brechen wird.«
    »Dennoch«, fuhr er fort, »werden die Sowjets jede Chance zu weiteren Expansionen nutzen. Das ist ihre klar erkennbare Strategie. Sie wollen ihren Druck auf Westeuropa verstärken und einen Keil zwischen die Europäer und die Amerikaner treiben. Ebenso ist uns klar, daß sie Europa strategisch umgehen und – vom Nahen Osten, von Afrika und von See her – einkreisen wollen.«
    Ob es denn in der Führung der KP Chinas Einigkeit gebe darüber, daß die Sowjetunion sich einen Zweifrontenkrieg nicht leisten könne?
    Ja, meinte Hua Guofeng, in dieser Frage sei man sich einig, auch wenn es vielleicht nicht die absolute Wahrheit sei. »Wenn Sie in Europa Ihre Verteidigungsanstrengungen intensivieren, wenn sich die westeuropäischen Staaten vereinigen und ihre Beziehungen mit den USA aufrechterhalten und wenn auf der anderen Seite wir Chinesen mit Japan und mit den USA verbunden bleiben, so muß die Sowjetunion das größte Interesse daran haben, einen Zweifrontenkrieg zu vermeiden. Außerdem macht man sich in Moskau große Sorgen um den osteuropäischen Hinterhof. Aus diesen Gründen sind wir der Ansicht, daß ein sowjetisch-chinesischer Weltkrieg in den achtziger Jahren nicht ausbrechen wird.«

    Aus der bedächtigen, ernsten Art seines Vortrages sprach sehr viel Urteilskraft. Auch Huas Analysen des bewaffneten chinesischvietnamesischen Konfliktes und der gegenseitigen chinesisch-sowjetischen nuklearen Raketenbedrohung beeindruckten mich. Der chinesisch-vietnamesische Konflikt sei eine Folge des vietnamesischen Hegemonialstrebens gegenüber Kambodscha. Vietnam sei dort erst einmarschiert, nachdem der sowjetisch-vietnamesische Bündnisvertrag unterzeichnet war. Auch habe es zahlreiche Grenzverletzungen und Provokationen gegenüber der Volksrepublik China gegeben; China habe sich zur Wehr setzen müssen. Schließlich sei Chinas Kampf gegen jede Art von Hegemonie ernst gemeint: »Wenn der Kampf sich vor der chinesischen Haustür abspielt, dann kann China nicht tatenlos bleiben.«
    Natürlich habe man in Beijing den Schritt gegen Vietnam vorher nach allen Richtungen hin überprüft und keineswegs überstürzt gehandelt. Wenn man jedoch nicht gehandelt hätte, wären Thailand und Malaysia die nächsten Opfer geworden; die ASEAN-Länder hätten dann keinen Widerstand mehr geleistet. Damit hätte die Sowjetunion den Zugriff auf die Malakka-Straße gewonnen und mithin die Kontrolle über die entscheidende Seeverbindung zwischen dem Pazifischen und dem Indischen Ozean. Das hätte dann Auswirkungen gehabt bis in den Persischen Golf, ins Rote Meer und ganz bestimmt auf die Ölversorgung der Welt.
    »Wir haben also«, fuhr er fort, »nicht nur aus eigenem nationalen Interesse gehandelt. Aber natürlich haben wir im eigenen Interesse zunächst mögliche sowjetische Reaktionen sorgfältig kalkuliert. Wir kamen, wie schon gesagt, zu dem Ergebnis, daß die Sowjetunion für einen großen Krieg gegen China nicht vorbereitet war; ein großer Krieg war also unwahrscheinlich. Wir haben natürlich auch die Möglichkeit sowjetischer Teilangriffe auf Xinjiang oder auf Nordchina geprüft; wir kamen zu dem Ergebnis, daß in diesem Falle der Sowjetunion eine von ihr nicht zu kontrollierende Eskalation militärischer Aktionen drohe. Deshalb rechneten wir ebenfalls nicht mit der Wahrscheinlichkeit eines begrenzten Angriffs. Schließlich mußten wir aber auch mit der Möglichkeit sowjetischer Übergriffe und Aktionen an der chinesisch-sowjetischen Grenze rechnen; diese Möglichkeit haben wir nicht ausgeschlossen, sondern uns darauf vorbereitet, ehe wir gegen Vietnam handelten.«

    Abb 43 Mit Hua Guofeng während einer Pressekonferenz in Bonn, Oktober 1979. Ende der siebziger Jahre galt Hua Guofeng als der mächtigste Mann Chinas; 1981 wurde er gestürzt.

    China habe auch mit den USA und mit Japan darüber gesprochen; beide, besonders Carter, seien über die möglichen sowjetischen Reaktionen besorgt gewesen und hätten gewarnt. »Aber die tatsächliche Entwicklung hat unseren Erwartungen entsprochen. Zwar haben die Sowjets uns am ersten Tage gedroht und den Abzug unserer Truppen verlangt, und als wir nicht reagierten, haben sie militärische Manöver veranstaltet und Flotteneinheiten in die

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