Menschen und Maechte
Russen erst im 19. Jahrhundert erobert haben, Außenposten der Sowjetunion bilden. Die Uiguren kehrten nicht nur den Stolz auf ihre Eigenart heraus, sie waren auch sehr offen: »Wir sind keine Chinesen, wir wollen das auch nicht sein.« – »Ich heirate bestimmt keinen Chinesen!« erklärte ein junges Mädchen meiner Frau sehr nachdrücklich.
Gleichwohl erschienen mir die uigurischen Bürger gegenüber ihrer Staatsführung nicht minder loyal als die chinesischen – aber wer will dies bei einem so kurzen Besuch wirklich beurteilen können? Der Aufenthalt in Urumtchi machte mir jedenfalls deutlich, wie groß Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl der Führung in Beijing sein und bleiben müssen, wenn das chinesische Großreich seine Minderheiten bei der Stange halten will. Mitunter zweifelte ich daran, daß die gewaltigen Aufgaben der Konsolidierung von der in Beijing zentralisierten Bürokratie gelöst werden können.
Die Uiguren stellen zwar innerhalb der Gruppe der fünf oder sechs Turkvölker, von denen Teile in der Volksrepublik China leben, das größte Kontingent; aber die ganze Gruppe umfaßt vielleicht nur zehn Millionen Menschen. Dazu kommen dann in anderen Provinzen die Tibeter, die Mongolen, die Mandschus und all die anderen nationalen Minderheiten.
Schätzungsweise besteht die Gesamtbevölkerung des Großreiches zu fast einem Zehntel aus zahllosen sprachlichen, ethnischen – und religiösen – Minderheiten. Die sogenannten autonomen Provinzen, Regionen, Kreise und Dörfer sind offenbar einem steten Prozeß der »Sinisierung« unterworfen, teils durch Einwanderung oder planmäßige Ansiedlung von Han-Chinesen, teils durch die forcierte Verbreitung der han-chinesischen Sprache, die im Englischen oft irreführend als Mandarin bezeichnet wird. In Urumtchi
schienen uigurisch und han-chinesisch sprechende lokale Funktionäre für das Gespräch untereinander zum Teil Dolmetscher zu benötigen.
Der Besuch in Xinjiang bestärkte mich in meiner wachsenden Sympathie für China; andererseits wuchs meine Abneigung gegen die Kulturrevolution, deren absurde Auswirkungen wir auch in dieser fernen Provinz spüren konnten. Zhou Enlai lag im Sterben; Mao war offensichtlich zur Führung des Staates nicht mehr in der Lage. Wer wirklich die Zügel in der Hand hielt, blieb unklar. Deng Xiaoping schien der Mann, der die notwendigen Qualitäten in sich vereinte; aber seine ostentative, fast penetrante Anlehnung an Maos Worte ließ mich an seiner Handlungsfreiheit zweifeln.
Ein halbes Jahr nach meinem Besuch, im April 1976, wurde Deng Xiaoping ein weiteres Mal »gesäubert« und – diesmal angeblich von Mao selbst – in die Wüste geschickt. Von Bonn aus schien es, als hätten schließlich doch die Kulturrevolution und der haßerfüllte Eifer der Jiang Quing, der Frau Maos, über jede Vernunft gesiegt. Ich war von diesen Nachrichten betrübt – einerseits aus Sympathie für China und andererseits, weil ich Rückwirkungen der siegreichen Kulturrevolution auf den Westen fürchtete. Hatte ich doch im eigenen Lande erlebt, daß auch deutsche Studenten durch infektiöse ideologische Hysterie sich aus sittlichen Verankerungen herausreißen und zu zerstörerischem Voluntarismus verführen lassen.
Zwischenakt: Hua Guofeng
Im September 1976 starb Mao. Nach seinem Tod kam die Kulturrevolution rasch zu ihrem Ende. Maos Witwe Jiang Quing und die ihr ergebenen Führer der Kulturrevolution wurden verhaftet; im Juni 1978 wurde Deng Xiaoping als stellvertretender Parteivorsitzender und stellvertretender Ministerpräsident zurückgeholt. Die Spitzenämter hatte Hua Guofeng inne; er war im Zuge von Dengs Verbannung noch von Mao installiert worden.
Hua hat seine beiden Spitzenämter nicht lange halten können;
1981 wurde er gestürzt. Die Machtkämpfe innerhalb der KPCh – nicht nur in jenen Jahren, sondern von Anfang an und über mehr als ein halbes Jahrhundert – würden gewiß Stoff für einen aufregenden historischen Roman liefern. Ende der siebziger Jahre war man in der chinesischen Führung frei von dem Zwang, Maos Dicta sklavisch nachbeten zu müssen. Somit ergab sich damals auch ein differenzierteres Bild der chinesischen Außenpolitik. Es gilt in großen Teilen noch heute; deshalb möchte ich hier von einem ausführlichen Gespräch mit Hua Guofeng berichten, das wir über mehrere Tage im Oktober 1979 in Bonn führten.
Hua Guofeng, den ich bis dahin nicht kannte, wurde begleitet von seinem Außenminister Huang Hua,
Weitere Kostenlose Bücher