Menschen und Maechte
Vorstoß nach Afghanistan als ein Schritt, eines Tages in den Besitz eines Hafens am Indischen Ozean zu kommen. Abgesehen von der Bedrohung durch die auf allen asiatischen Meeren kreuzenden sowjetischen Flotten und die sowjetischen Raketenbasen muß China auch der sowjetischen Luftwaffe Rechnung tragen, die im Nordosten, Norden und Nordwesten, in Afghanistan — man vergißt bei uns leicht, daß Afghanistan und die chinesische Provinz Xinjiang eine gemeinsame Grenze haben — und im vietnamesischen Da Nang ihre Stützpunkte hat.
So empfindet man sich sowohl in politischer als auch in militärischer Hinsicht eingekreist; zugleich sieht man in Beijing — auch wenn man davon nicht spricht — ganz deutlich, daß der Weg der Kommunistischen Partei Chinas eine ideologische Herausforderung an den Führungsanspruch der russischen Kommunisten darstellt, denen man auch ökonomisch ein anderes Modell entgegengestellt hat, das für Moskaus Satelliten in mancher Hinsicht verführerisch ist. Die Konfrontation findet also praktisch auf mehreren Ebenen statt.
Beijing ist auf absehbare Zeit militärisch zu schwach, das Risiko eines Krieges mit der Sowjetunion einzugehen; es muß vielmehr hoffen, daß der Großteil der sowjetischen militärischen Kräfte anderweitig, das heißt vornehmlich an der Westgrenze der UdSSR, gebunden bleibt; deshalb drängt man die Europäer zum
Zusammenschluß. Im äußersten Fall würde man sich so verhalten wie die Russen zur Zeit der Invasion durch Napoleon 1812 und durch Hitler 1941: zurückweichen in die Tiefe des Raumes und darauf bauen, daß die zahlenmäßige Überlegenheit am Ende den Ausschlag geben wird. Gegenwärtig umfaßt die Sowjetunion etwas weniger als sechs Prozent der Weltbevölkerung, die Volksrepublik China hingegen mehr als zwanzig Prozent! Doch sind solche Kriegsvisionen selbst für schreckgewohnte chinesische Revolutionäre ein Alptraum. Deshalb wird man sich – selbst wenn man die antisowjetische Propaganda im Gewande des Antihegemonismus fortführen sollte – in der realen Außenpolitik Moskau gegenüber immer des Risikos bewußt bleiben. Deshalb wird man auch den diplomatischen Draht zur Sowjetunion keineswegs abreißen lassen wollen – eher wird das Gegenteil der Fall sein.
China wird noch auf lange Zeit keine nennenswerte Seemacht sein. Schon deshalb muß Beijing Wert darauf legen, daß die USA im Pazifik und im Indischen Ozean mindestens das Gleichgewicht mit der Sowjetunion aufrechterhalten, deren Marinerüstung man in Beijing mit Sorge verfolgt. Das industriell so mächtige Japan bringt keine Entlastung, denn Beijing will Japan keine Aufrüstung zubilligen; die Erinnerungen an die japanischen Eroberungen seit 1930 und an die Rücksichtslosigkeit der japanischen Besatzungsmacht sind dafür noch viel zu lebendig.
Auch über die eigene Weltregion hinaus braucht China gegenüber der Sowjetunion einstweilen das global wirksame strategische Gewicht Amerikas – und nicht nur Amerikas, sondern auch Europas. Sollte die relative Sicherheit Chinas gegenüber einer durch andere potentielle Konfrontationen und Konflikte gebundenen Sowjetunion gewährleistet erscheinen, dann ist für spätere Zeiten eine erneute Entwicklung zumindest partieller Kooperation mit Moskau durchaus denkbar. China hat in den nie wirklich abgebrochenen Gesprächen mit dem Kreml die Forderung nach Revision der »ungleichen Verträge« seit längerem stillschweigend beiseite gelassen und sich statt dessen auf drei andere Voraussetzungen für eine Normalisierung der chinesisch-sowjetischen Beziehungen beschränkt.
Diese sogenannte »Beseitigung der drei Hindernisse« umfaßt
erstens die Verringerung der sowjetischen Streitkräfte entlang der Grenze (und der SS 20 östlich vom Ural?), zweitens und vor allem eine Beendigung der sowjetisch unterstützten vietnamesischen Okkupation Kambodschas, schließlich die Beendigung der Invasion in Afghanistan. Im Scherz habe ich einmal zu dem mit diesen Gesprächen beauftragten chinesischen Vizeaußenminister Tsien Tsien gesagt: »Mir scheint, Ihre Planstelle ist auf Lebenszeit gesichert«, und er antwortete: »Ja, mindestens wohl für zwanzig Jahre.« Zur Zeit ist beides denkbar – sowohl eine Verringerung des chinesischen diplomatischen Druckes und folglich eine teilweise Reduzierung der drei Forderungen als auch das Gegenteil, nämlich eine erneute Forcierung der chinesischen Ansprüche hinsichtlich der »ungleichen Verträge«.
Es wird entscheidend darauf
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