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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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ein Sicherheitsmoment. Ein wiedervereinigtes Korea unter sowjetischem Einfluß bedeutete nicht nur für Japan, sondern auch für China eine Verschlechterung der eigenen strategischen Lage. Bezüglich Koreas ist China nach meinem Eindruck eine Status-quo-Macht; Veränderungen auf der koreanischen Halbinsel nach dem Tode Kim Il-Sungs, der als Mann Moskaus angesehen wird, könnten zu einem Wandel der chinesischen Einschätzung führen.
    Die Feindschaft zwischen China und Vietnam reicht auf beiden Seiten sehr tief; sie hat nicht nur aktuelle politische Anlässe, sondern wohl auch geschichtliche Hintergründe, die während der kurzen Phase chinesischer Hilfe für Nordvietnam heruntergespielt wurden. Es ist eine ironische Pointe des Kommunismus in der östlichen Hemisphäre, daß China – der bei weitem volkreichste kommunistische Staat – unter seinen kommunistischen Nachbarn in Asien nur mit Nordkorea gute Beziehungen hat, nicht aber mit der Sowjetunion, nicht mit der Mongolei, weder mit dem kommunistischen Vietnam noch mit den kommunistischen Regierungen in Pnom Penh und in Vientiane. Im Gegenteil: Alles, was China belastet, geht von kommunistischen Staaten aus, während Beijings Beziehungen zu den »kapitalistischen« Staaten nahezu störungsfrei sind. Im ganzen ist jedoch die Lage in den Augen Beijings nicht schlecht. Die einzige gravierende Sorge gilt dem vietnamesischen
Imperialismus, den China niemals akzeptieren wird. Das dringlichste Verlangen bleibt die Wiedervereinigung Taiwans mit dem Mutterland; dabei ist man zu einem weiten Entgegenkommen nach dem Muster der Hongkong-Lösung bereit. Macao kann China jeden Tag bekommen. Die Rückführung dieser heute außerhalb der staatlichen Hoheit liegenden Landesteile muß – schon aus Gründen der Selbstachtung – Teil der strategischen Zielsetzung Chinas bleiben.
    In jeder anderen Hinsicht stellt sich die gegenwärtige Situation für China als durchaus akzeptabel dar. China erkennt die Souveränität und die Autonomie der ASEAN-Staaten Malaysia, Thailand, Singapur, Indonesien und der Philippinen an, und es respektiert in der Tat deren Interessen. Prinzipiell und weltweit verfolgt China die Grundsätze der Neutralität und Blockfreiheit. Ich glaube nicht, daß dies -wie manche in Südostasien fürchten – bloß die Taktik des Fuchses ist, dem die Trauben zu hoch hängen. Seit der Bandung-Konferenz 1955 und den fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz, die damals zuerst von Zhou Enlai formuliert wurden, hat sich China zunehmend zum Sprecher der blockfreien Staaten und zum Anwalt der Interessen der Dritten Welt, also der Entwicklungsländer gemacht. Dies spielt heute eine wichtige Rolle im weltpolitischen Verständnis der Volksrepublik China; denn bei den Entwicklungsländern handelt es sich um eine große absolute Mehrheit der Staaten der Welt. Zwar sind die blockfreien Staaten so wenig eine homogene Gruppe wie die Entwicklungsländer insgesamt. Aber es ist einstweilen kein Grund zu sehen, warum China diese angenehme Rolle verschenken sollte.
    China hat ein jährliches Pro-Kopf-Einkommen von nur etwas über dreihundert US-Dollar; es begreift sich nüchtern und völlig zurecht als Entwicklungsland und widersteht der Verlockung einer Führungsrolle, wie sie etwa Fidel Castros Kuba zeitweilig zu spielen versuchte. Beijing ist überzeugt, daß man dem Hegemoniestreben der Supermächte am erfolgreichsten unter den Staaten der Dritten Welt Widerpart bieten könne. Die Paradoxie der Lage will es freilich, daß Chinas wirtschaftliche Interessen viel stärker nach Zusammenarbeit mit den leistungsstarken Industriestaaten der
westlichen Welt und mit Japan verlangen. Das ist der Grund, warum Chinas Unterstützung der Forderung nach einer »neuen Weltwirtschaftsordnung« blaß und nur verbal bleibt.
    Lediglich was Indien anlangt, könnte es zu dem Versuch einer »Süd-Süd-Kooperation« kommen, die politisch konzipiert ist. Aber es ist ganz unwahrscheinlich, daß Neu-Delhi dies wünscht; schon die politische Nähe Indiens zur Sowjetunion wird das verhindern. Die Zusammenarbeit Indiens mit der Sowjetunion aber wird bestehen, solange der indisch-pakistanische Gegensatz andauert, also wohl über dieses Jahrhundert hinaus. Übrigens käme unter diesem letzten Aspekt eine chinesisch-sowjetische Annäherung einer Katastrophe für Neu-Delhi gleich.
    Alles in allem gesehen wird für den Rest des Jahrhunderts das oberste strategische Ziel Chinas in einer möglichst ungestörten

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