Menschen und Maechte
ankommen, wieweit die Moskauer Führung auf chinesische Interessen und Empfindlichkeiten Rücksicht nimmt oder, andersherum gesehen, in welchem Maße Moskau seine eigenen Ressentiments gegenüber der Volksrepublik China überwinden kann. Es ist nicht auszuschließen, daß es irgendwann einmal im chinesisch-sowjetischen Verhältnis zu einer gewissen Parallele zur deutschen Entspannungspolitik kommen kann – in beiden Fällen nämlich stehen die beiderseitigen Sicherheitsinteressen obenan.
Natürlich spielt ebenfalls eine Rolle, wieweit die amerikanische Führung auf chinesische Interessen und Empfindlichkeiten Rücksicht nimmt. Auf absehbare Zeit gibt es keinen großen strategischen Interessengegensatz zwischen China und Amerika. Aber seit 1972 ist die amerikanische Chinapolitik nicht immer kontinuierlich verlaufen, vor allem nicht in dem für China so sensitiven Punkt Taiwan; amerikanische Waffenlieferungen an Taiwan werden auf dem chinesischen Festland besonders kritisch vermerkt. Für Beijing ist und bleibt Taiwan eine innerchinesische Angelegenheit; Washington erkennt das auch mitunter, aber in Erinnerung an den einstigen Bundesgenossen Chiang Kaishek wird das Gebot der Zurückhaltung – zumal von der Rechten im Senat – des öfteren verletzt. Leicht ist Chinas Stolz verwundbar, und die USA sollten ihn als gewichtigen Faktor einkalkulieren.
Vom Taiwanproblem abgesehen stellt sich in chinesischen Augen die strategische Rolle der USA als vorläufig unverzichtbarer Eckpfeiler im globalen Machtgleichgewicht dar. In Beijing weiß man, daß China mit der Zeit militärisch eine Weltmacht sein wird; aber man weiß auch, daß bis dahin noch Jahre vergehen werden, und zunächst benötigt man die Zeit zu einem von Verteidigungsanstrengungen möglichst wenig beeinträchtigten Wirtschaftsaufbau. Dazu braucht man amerikanische und europäische technologische Unterstützung, noch mehr aber kontinuierliche wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Japan. Das benachbarte rohstoffarme Japan mit seiner hohen technischen und industriellen Leistungsfähigkeit ist für China geradezu ein idealer Wirtschaftspartner innerhalb der ost- und südostasiatischen Region.
Im übrigen aber denkt man in Beijing nicht an Bündnisse innerhalb der Region; auch dies wird in der Formel von der »Ablehnung des Hegemonismus« untergebracht. Die Volksrepublik China versteht sich nicht als »Supermacht«, auch wenn sie sich durchaus schon als Weltmacht fühlt. Was mögliche Bündnispartner Chinas anlangt, liegt der Knüppel beim Hund: Auch wenn China Bündnisse suchen sollte, so würde es in der eigenen Region kaum einen willigen Partner finden. China hat wie Deutschland sehr viele Nachbarn; aber anders als die Bundesrepublik hat China unter seinen Nachbarn – Nordkorea beiseite gelassen – keine Freunde, nicht einmal solche, die, wenn schon nicht aus Neigung, so doch aus Vernunft zu einem Bündnis oder zu anderen Formen enger Verbindung bereit wären. Das liegt nicht nur an der überwältigenden Größe des Landes und seiner riesigen Bevölkerungszahl; die ASEAN-Staaten haben ihre Erfahrungen mit der überlegenen wirtschaftlichen Tüchtigkeit der sechzehn Millionen Auslandschinesen gemacht, deshalb spielen auch Inferioritätskomplexe und Ressentiments eine Rolle. Vor allem aber lehnt man den Kommunismus Chinas ab und hat Angst vor der Infiltration der Ideologie, die in Korea wie in Vietnam am Ende zu blutigen Kriegen geführt hat. Schließlich spielt in vielen Staaten die kulturelle Tradition eine große Rolle. Ein asiatischer Politiker hat mir einmal über den chinesisch-vietnamesischen Grenzkrieg von 1979 gesagt: Gott sei
Dank, das bringt uns weitere zwanzig Jahre ungestörten Frieden! Manche asiatischen Staaten sind sich heute nicht im klaren darüber, ob für sie die größere potentielle Gefahr von China oder von der Sowjetunion ausgeht.
Die einzige Ausnahme ist gegenwärtig Sihanouks kambodschanische Exilregierung; ihr Überleben hängt ab von der chinesischen Unterstützung gegen die vietnamesische Besetzung. Zwar stützt sich auch der andere kambodschanische Führer, Pol Pot, in seinem Kampf gegen die Vietnamesen auf China, aber mit ihm haben die Kambodschaner grauenhafte Erfahrungen gemacht. Nordkorea ist zwar ein Bündnispartner Chinas, muß aber auf Grund der Nähe der Sowjetunion sehr vorsichtig operieren. China tritt verbal für die Wiedervereinigung Koreas ein, sieht tatsächlich jedoch in der militärischen Präsenz der USA in Südkorea
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