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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Bild davon machen, wie dicht das fruchtbare Land in den Provinzen Shanxi, Hebei und im Bereich der Hauptstadt Beijing besiedelt ist. Die Häuserkomplexe der einzelnen Dörfer hatten jeweils nur geringe Abstände zu den Nachbardörfern. Auf der stundenlangen Eisenbahnfahrt von Shanghai nach Hangzhou sahen wir später, wie tatsächlich jeder Quadratmeter Boden landwirtschaftlich genutzt wird. China muß ein Fünftel der Weltbevölkerung ernähren, hat dafür aber nur sieben Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche der Erde zur Verfügung. Auf Grund des Wachstums der Bevölkerung wie auch des Flächenbedarfs der Städte wegen verschlechtert sich die Relation von Anbaufläche zur Bevölkerung von Jahr zu Jahr.
    Hier liegt der Grund für die rigorose Dämpfung der Geburtenzahlen. Europäer oder Amerikaner, Johannes Paul II. und Ronald Reagan an der Spitze, mögen die chinesischen Regulierungen der Geburtenrate als eine Beeinträchtigung der Freiheit des einzelnen oder als unchristlich verurteilen – aber was kann der
Moralist anderes empfehlen, um der Explosion der Bevölkerung Herr zu werden?
    Soweit ich sehe, ist China das einzige Entwicklungsland, das sich beständig und mit erheblichem Erfolg darum bemüht, ein unkontrolliertes Bevölkerungswachstum zu verhindern, das im nächsten Jahrhundert ja nicht nur China, sondern den Großteil der Menschheit bedroht. Lediglich Indien hat, zumindest zeitweise, Versuche in ähnlicher Richtung unternommen; aber die Methoden, die der erste Sohn Indira Gandhis anwendete und die bis zur Zwangssterilisierung gingen, waren weitaus radikaler als die Chinas. Chinas bisheriger Erfolg hat auch die Nahrungsmittelnot beendet – nicht viele Entwicklungsländer können dies von sich sagen. Ohne die chinesischen Methoden in allen Einzelheiten zu billigen, muß ich die chinesische Zielsetzung vernünftig nennen. 1950 wurde Chinas Bevölkerung auf 540 Millionen geschätzt; gegenwärtig sind es schon doppelt so viele Menschen. Für das Jahr 2000 hofft man, die Zahl von 1,2 Milliarden nicht zu überschreiten; einige westliche Fachleute meinen allerdings, trotz aller Familienplanung werde China an der Jahrhundertwende eher 1,5 Milliarden Menschen umfassen (über sechzig Prozent aller Chinesen sind heute jünger als dreißig Jahre).
    Das muß ein Alpdruck sein – vor allem für die Ökonomen, aber auch für die Führung ganz allgemein: Wie kann man denn erfolgreich sowohl für die Ernährung als auch für die Arbeitsplätze dieser Massen sorgen? Deng Xiaoping sagte mir einmal dazu: »Wenn wir wenigstens – so wie heute – achtzig Prozent unserer Menschen in den Dörfern halten können, haben wir unser Problem vielleicht schon zu achtzig Prozent gelöst.«
    Von der Agrarreform zur Industriereform
    Die Erfolge der Agrarreform sind nicht nur für den Chinesen offensichtlich; betrachtet man den Anstieg der Produktionsziffern seit 1979, so sind sie für jeden objektiv urteilenden Ökonomen spektakulär. Dies ist im wesentlichen einer teilweisen Befreiung von der staatlichen Befehlswirtschaft und deren Ersetzung durch
ein »Eigenverantwortungssystem« zu verdanken. Eine Genossenschaft, eine Gruppe von landwirtschaftlichen Haushalten oder auch einzelne landwirtschaftliche Haushalte haben heute, was Anbau und Verkauf der Produkte angeht, Entscheidungsfreiheiten, die vor kurzer Zeit noch undenkbar gewesen sind. Allerdings bestehen weiterhin Auflagen für die Mindestablieferung, und zwar zu zentral geregelten Ankaufspreisen.
    Über die Erfüllung dieser Normen hinaus kann dann frei angebaut und frei verkauft werden. Dies gilt auch für die landwirtschaftlichen Kommunen, die heute keine staatlichen Körperschaften mehr sind, sondern nur noch Produktionsgenossenschaften, und für die staatlichen Farmen. Das einzelne Mitglied des Kollektivs besitzt außerdem einen kleinen Garten oder Acker, dessen Produkte es frei und zu Marktpreisen verkaufen kann; dieser freie Verkauf geht über die Kreis- oder Provinzgrenzen hinaus. Die Bauern dürfen heute auch Lehrlinge, also »Arbeitnehmer«, einstellen.
    Alle diese Maßnahmen zusammen haben zu einer erheblichen Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität geführt, die von zunehmender Spezialisierung begleitet ist. Die landwirtschaftlichen Einkommen haben sich stetig erhöht, was einen weiteren nachhaltigen Anreiz zu neuer Leistungssteigerung bietet. China ist heute – wenige Jahre nach dem Beginn der Reform – in der Lage, sich ohne Einfuhren selber

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