Menschen und Maechte
zu ernähren.
Es war logisch, bei der Reform der Wirtschaft mit dem Agrarsektor zu beginnen. Er ist zwar um vieles größer als alle anderen Branchen der Volkswirtschaft, aber zugleich viel unkomplizierter und weniger arbeitsteilig. Im wohltuenden Schatten des landwirtschaftlichen Erfolges begann man alsbald mit Modellversuchen auch in den städtischen Industrien; sie sollten die spätere allgemeine Reform der Wirtschaftspolitik vorbereiten. Eines dieser Modelle, das Eisen- und Stahlkombinat »Shoudu Gangtil Gongsi« am Rande Beijings, haben wir besucht.
Das Kombinat umfaßte zur Zeit unseres Besuchs 110 000 Menschen und besaß eigene Schulen, Klubs, soziale Einrichtungen, Sportstätten, Parks, Kinos und so weiter. In einem der Erholungsgärten für die Belegschaft sahen wir einen schönen künstlichen
Wasserfall, der zugleich die Funktion hatte, die Temperatur des Kühlwassers zu senken. Das Kombinat produzierte pro Jahr drei Millionen Tonnen Roheisen und zwei Millionen Tonnen Rohstahl – was wirklich eine bescheidene Leistung ist. Gleichwohl war der junge Direktor stolz auf das Erreichte. Dieses Kombinat durfte einen bestimmten Prozentsatz seiner Endprodukte frei – auch in das Ausland – verkaufen, während für die übrige Produktion zentral festgelegte Ablieferungspflicht zu staatlich fixierten Preisen bestand. Das Kombinat durfte auf die Löhne bis zu zwanzig Prozent Leistungszulagen zahlen und Prämien auswerfen. Es durfte den überschüssigen, über das Soll hinausreichenden Gewinn nach eigenem Ermessen reinvestieren und konnte auf diese Weise seine eigene Produktion modernisieren. Der Generaldirektor des Kombinats war vom Zentralkomitee der Partei, sein Stellvertreter von der Stadt Beijing ernannt worden; sonst aber trieb das Kombinat seine eigene Personalpolitik. Allgemein hatte man in den einzelnen Betrieben eigene Verantwortungssysteme geschaffen – mit Pflichtenheften für jedermann –, und deren Erfüllung oder Nichterfüllung bildeten die Grundlage für Prämien wie auch für Lohn- und Gehaltsabzüge. Die Kontrolle lag offenbar bei der Leitung der Parteiorganisation innerhalb des Unternehmens.
Nach westlichen Maßstäben war das alles weiß Gott nichts Nachahmenswertes, aber im Vergleich zur ansonsten fast mechanischen Steuerung der Industrie durch die zentrale Bürokratie – nach sowjetischem Vorbild – genoß dieses Modellunternehmen eine Reihe von Vorteilen, die sich in alljährlich steigenden Gewinnziffern niederschlugen. Ich konnte das an anderen Fabriken in den Provinzen sehen, denen solche Vergünstigungen nicht zur Verfügung standen.
Bei der bereits erwähnten Wirtschaftsdiskussion im Internationalen Institut ließ ich mir erläutern, was die Auswertung dieser Modellerfahrungen ergebe und ob man beabsichtige, die Freiheiten auszudehnen. Die anwesenden Professoren, die Herren aus den Ministerien und die ökonomischen Berater des Zentralkomitees machten bei abstrakten institutionellen Fragen einen wesentlich sichereren Eindruck als bei Fragen nach der Bedeutung der immer
noch vorhandenen ökonomischen Globalsteuerung. Was die institutionelle Seite anlangt, so sah man die Notwendigkeit, sowohl das Verhältnis zwischen Staat und Betrieb als auch die Beziehungen zwischen der Betriebsleitung, dem Direktor und der Arbeiterschaft neu zu ordnen. Doch auch bei diesen Fragen blieben die Antworten sehr vage.
Alles lief darauf hinaus, das Verhältnis zwischen Staat und Betrieb werde schrittweise modernisiert. Schon seit anderthalb Jahren werde nur ein Teil des Profits – nach der Auflage des jeweils zuständigen Ministeriums – direkt an den Staat transferiert, der andere Teil aber durch Steuern eingezogen. Ab 1985 solle der Transfer an den Staat ausschließlich über allgemeine Steuern erfolgen; dann werde auch der bisher an die Beschäftigten ausgeworfene Bonus, der »Profitanteil«, einer Einkommensbesteuerung unterliegen. Das Eigenkapital werde in Fonds oder Stiftungen überführt, die sozialen Zwecken oder technischen Fortschritten dienten.
In einer zweiten Stufe würden Management und staatliche Administration voneinander getrennt werden; allerdings bliebe es bei Jahres- und Fünfjahresplänen, jedoch lediglich zum Zwecke einer allgemeinen Orientierung. Nur bei einigen wenigen Gütern werde der Staat den Preis festsetzen, zum Beispiel bei Energie, Zement, Stahl. Viele Güter würden dagegen überhaupt nicht mehr im staatlichen Produktionskatalog erscheinen, ihr Preis werde ein reiner
Weitere Kostenlose Bücher