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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Weltanschauungen gegenüber; völlig verschiedene Sprachen und Kulturen sind einander benachbart.

    Ende 1971 reiste Helmut Schmidt, damals Bundesverteidigungsminister, in die pazifische Region: eine der vielen Reisen zur Vervollständigung des Bildes von der Welt.
    »Briefing« im Flugzeug: Ministerialdirektor Ruhfus trägt vor; rechts neben Schmidt Staatssekretär Bölling, Frau Wischnewski, ganz rechts Hans Jürgen Wischnewski; links neben Loki Schmidt Edzard Reuter (auf dem Flug von Tokio nach Singapur, 18. Oktober 1978).

    Es ist diese Vielfalt eigenständiger Entwicklungen, welche nicht nur uns Europäern, sondern mehr noch den Amerikanern das politische Verständnis jener Region so schwierig macht, die man leichtfertig unter dem einheitlichen Begriff »pazifisches Becken« zusammenfaßt. In Wirklichkeit bleibt die Gemeinsamkeit des pazifischen Beckens dem geographischen Blick desjenigen vorbehalten, der diese Region vom Rande her betrachtet, sei es von Los Angeles, von Canberra, von Beijing oder von Tokio aus. Dagegen spielt der lose Zusammenschluß der ASEAN-Gruppe (Association of South-East Asian Nations mit den fünf Staaten Philippinen, Indonesien, Singapur, Malaysia, Thailand) nur eine untergeordnete Rolle.
    Reisen nach Neu-Delhi, Singapur, Kuala Lumpur, Beijing, Seoul, Tokio, Bangkok, Canberra oder Djakarta haben mir ein wenig von der Vielfalt jener Region vermittelt. Viele Gespräche mit Lee Kuan Yew, dem chinesischen Ministerpräsidenten von Singapur, und vor allem zahlreiche Besuche in Japan haben mein Verständnis von der Weltmachtrolle Chinas sehr gefördert. Neben diesem großen Nachbarn wird Japan auch in den nächsten Jahrzehnten vermutlich auf seine Rolle als überragende wirtschaftliche Macht beschränkt bleiben. Allerdings ist die außenpolitische Entwicklung Japans nicht leicht abzuschätzen; sie könnte auch Überraschungen hervorbringen.
    Auf Japan trifft heute das Wort zu, das in den sechziger Jahren für die Bundesrepublik Deutschland geprägt wurde: ökonomisch ein Riese, politisch ein Zwerg. Für die weltpolitisch eher unbedeutende Rolle Japans gibt es mehrere Ursachen, deren Wirkungen sich addieren. Da ist zunächst die in über tausend Jahren entstandene insulare Mentalität, während der zweihundertfünfzigjährigen Herrschaft der Tokugawa-Shogune isolationistisch überhöht und nach der Öffnung Japans unter dem Kaiser Meiji seit 1868 nicht wesentlich abgeschwächt. Dazu gehört der für Japan glücklich verlaufene russisch-japanische Krieg 1905: Er gab dem rücksichtslosen japanischen Imperialismus Auftrieb, der alsbald Korea und die
Mandschurei erfaßte; Formosa (Taiwan) war schon im vorigen Jahrhundert erobert worden. Was diese Raubzüge für die Nachbarstaaten bis heute bedeuten, ist in Japan nie aufgearbeitet oder verstanden worden. Schon vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hatte Japan mit Brutalität große Teile Chinas unterworfen; nach 1941 dann überfallartig die Philippinen, das heutige Indonesien, Burma, das heutige Malaysia und Singapur, und so weiter. Mit geschichtlichen Maßstäben und am früheren Imperialismus der europäischen Kolonialmächte, der USA oder Rußlands gemessen, währte der japanische Imperialismus zwar nur eine kurze Zeit, aber er ist relativ jungen Datums und hat bis heute bei den unterjochten Völkern ein tiefes Ressentiment hinterlassen.
    Nur die der amerikanischen Nation eigentümliche Großzügigkeit hat das antijapanische Ressentiment weitgehend überwunden (aus wirtschaftlichen Gründen kehrt es heute freilich zurück); die Supermacht-Position der USA im Raum des Pazifik hat diesen psychologischen Prozeß natürlich erleichtert. Auch China, die bei weitem größte Macht Asiens und deshalb von Inferioritätskomplexen Japan gegenüber nicht belastet, hat die Feindschaft gegen die Japaner überwunden, zumindest nach außen hin. Der wiederholte, stetige Versuch Moskaus, zwischen Beijing und Tokio Feindschaft zu säen, hat die langsame Annäherung zwischen beiden nicht verhindern können; sie liegt im ökonomischen Interesse Chinas, für Japan ist sie psychologisch unerläßlich. Im Herbst 1972 wurden diplomatische Beziehungen zwischen beiden Ländern aufgenommen (was den Bruch zwischen Japan und Taiwan bedeutete). Dennoch ist das chinesische Mißtrauen latent erhalten geblieben; Nakasone hat es in den achtziger Jahren anläßlich einiger nationalistischer japanischer Äußerungen erleben müssen, welche in China als Symptome der alten japanischen

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