Menschen und Maechte
und sozialorganisatorisch vom Westen zu lernen, sich anzupassen und westliche Methoden und Technologien zu verfeinern und zu übertreffen.
Auf ähnliche Weise haben sie in der Vorzeit ihre Schriftzeichen, ihre Tuschmalerei, ihre Gartenbaukunst, vor allem auch den Buddhismus aus China und Korea übernommen und sich in Abwandlung
der Originale zu eigen gemacht. Ohne die fünftausend Jahre kultureller Entfaltung Chinas ist die japanische Kultur nicht denkbar. Von daher stammt wohl auch der Minderwertigkeitskomplex gegenüber den Chinesen, der am Ende freilich zum Versuch der Versöhnung mit dem Nachbarvolk beigetragen hat. Diese Politik kann – in sehr begrenztem Sinne – als japanische Parallele zur deutschen Ostpolitik gesehen werden, nur um einige wenige Jahre zeitversetzt. Zugleich aber gibt es in Japan einen weitverbreiteten, meist sorgfältig kaschierten Überlegenheitsdünkel gegenüber fast allen anderen Nachbarvölkern. Der Anpassungswille Japans scheint sich auf die als überlegen geltenden Völker und Kulturen Chinas, der USA und – abgeschwächt – Europas zu beschränken.
Die von McArthur oktroyierte demokratisch-parlamentarische Verfassung und der damit gleichzeitig auferlegte Verzicht auf militärische Streitkräfte haben den Japanern keine großen Schwierigkeiten bereitet; beide Akte sind jedoch alsbald in charakteristischer Weise herkömmlichen japanischen Gesellschaftsformen und japanischen Bedürfnissen angepaßt worden. Die parlamentarische Praxis hat die überkommene Oligarchie der Konservativen und das Konsensusprinzip zwischen mächtigen Gruppen und Cliquen nicht aufgehoben; und statt des von der Verfassung verbotenen Militärs gibt es »Selbstverteidigungskräfte«, die ganz selbstverständlich Heeres-, Luftwaffen- und Marineverbände umfassen.
Die Abtrennung der sogenannten »nördlichen Inseln« – das heißt, geographisch gesprochen, der südlichen Inseln der Kurilen – durch die Sowjets ist mit der Teilung Deutschlands absolut nicht zu vergleichen; denn diese Inseln hatten nur wenige tausend japanische Einwohner. Dagegen waren die Kriegszerstörungen in Japan und die ökonomischen Wiederaufbauprobleme denjenigen Deutschlands in vielem ähnlich; sie sind mit Hilfe einer ungeheuer disziplinierten Arbeitsanstrengung in gleicher Weise gemeistert worden. Der Aufstieg zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt hat die Nachbarn, aber auch die Europäer und die Amerikaner zunächst erstaunt, später erschreckt. In Washington sagte mir einmal ein amerikanischer Außenminister, die Japaner trachteten nach einem neuen Pearl Harbor, diesmal allerdings lediglich mit ökonomischen
Mitteln. Dies war eine ziemlich übertriebene Interpretation, aber sie kennzeichnet die neue Feindschaft, die sich in den achtziger Jahren in den USA angesichts der extrem unausgewogenen Handelsbilanz mit Japan entwickelt. Die Amerikaner und die EG betrachten Japan heute als handelspolitischen Konkurrenten und sogar als Gegner, der mit angeblich unfairen Mitteln die Konkurrenz aus dem Feld schlägt und der deshalb zu »freiwilligen Selbstbeschränkungen« gezwungen werden muß – letzteres zu Unrecht.
Seit meiner volkswirtschaftlichen Diplomarbeit über Japans Währungsreform gleich nach dem Kriege und seit meinem ersten Besuch 1961 habe ich immer eine ganz andere Sicht Japans gehabt: Ich sah Japan als ein Land, das ähnlich wie Deutschland von einem größenwahnsinnigen Imperialismus zu energischer Aggression und zu entsetzlicher Drangsalierung seiner Nachbarn verführt und dafür mit totaler Niederlage und fast totaler Zerstörung bestraft worden war. Sodann als ein Land, das nach einem Intervall dumpfer Erschütterung mit abermals enormer Energie an den Wiederaufbau seiner Städte und seiner Wirtschaft gegangen war. Ein Land, das nach Kriegsende politisch weitgehend fremdbestimmt wurde, das aber dank seiner Arbeitsleistung – auch hierin Deutschland ähnlich – den Weg zu einer neuen Identität zu finden schien. Schließlich sah ich ein Volk von ganz anderer kultureller Tradition – völlig fremd auf den ersten Blick, aber zugleich ungemein anziehend: seine Schreine und Pagoden, seine Gärten und Tori, seine Farbholzschnitte, seine schönen Künste insgesamt. 1961 gehörten meine Freunde Carlo Schmid, Karl Wienand und ich der gleichen Reisegesellschaft an; wir waren alle drei beeindruckt von diesen Schönheiten, und Carlo war hingerissen – besonders von den Frauen.
Seither sind zwar einige Parallelen mit
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