Menschen und Maechte
militärische Zwecke aufbringen zu müssen, um so drängender wird der Umbau der japanischen Volkswirtschaft. Je mehr jedoch der japanische Verteidigungshaushalt ausgebaut würde, um so mehr wüchse der Argwohn der Nachbarn – und der innenpolitische Widerstand. Es bedürfte also einer Mischstrategie, und dies wiederum erforderte eine zielbewußte, energische und zugleich sehr sensible politische Führung; beides ist bisher nicht zu erkennen. Keiner der bisherigen Premierminister hat einen großangelegten Versuch zur Lösung unternommen. Infolgedessen ist trotz häufigen Personenwechsels an
der Spitze die nach außen gerichtete Gesamtstrategie Japans im wesentlichen noch immer geprägt von Nachgiebigkeit und Konzessionsbereitschaft gegenüber den USA, nicht aber von Phantasie und dem Willen zur Umgestaltung und zu mehr eigener Handlungsfreiheit. Deshalb unterscheiden sich die außenpolitischen Verhaltensweisen der bisherigen Premierminister im Ergebnis weniger voneinander, als sie selbst und mit ihnen fast alle Japaner zu glauben bereit sind.
Nakasone, wie ich 1918 geboren, ist übrigens ein Mann mit vielerlei Talenten; er treibt Sport, er malt – und er schreibt gelegentlich auch Gedichte. So hat er mir einmal ein Bändchen mit eigenen Haikus geschenkt. Ein Haiku ist die traditionelle Form eines kurzen Gedichtes, in dem die erste Zeile aus fünf Silben besteht, die zweite aus sieben und die dritte, letzte Zeile abermals aus fünf Silben. Das Haiku soll, sprachlich prägnant, eine Stimmung ausdrücken und darüber hinaus Assoziationen wecken; Übertragungen in fremde Sprachen sind deshalb nur mit erheblichen Einbußen möglich. Einige Jahre zuvor hatten Nakasone und ich über die alte Hauptstadt Berlin gesprochen, über die Mauer und das Elend der Teilung. Inzwischen hatte er Berlin gesehen und gab mir dazu zwei bewegende Haikus:
Wind im grünen Mai;
die Mauer in den Herzen
bläst er nicht nieder.
Das andere Haiku bezog sich auf den schon früher zwischen uns besprochenen Plan der Japaner, die Ruine der japanischen Botschaft im Berliner Tiergartenviertel wieder aufzubauen und zu einem kulturellen Zentrum herzurichten:
Einschußnarben im
Gemäuer, darunter grünt
ein Rhododendron.
Die japanische Kunst hat viele überaus schöne und liebenswerte Facetten entwickelt. Ich gestehe gern, daß ich von den Pavillons in Kyoto, von der Keramik, von der Tuschmalerei und den farbigen
Holzschnitten, von der japanischen Musikalität, von Teilen der japanischen Literatur und vom Haiku immer wieder angerührt und oft begeistert bin. Viele Seiten der Japaner, ihrer Persönlichkeit und ihrer geistigen Einstellung erscheinen mir ungemein anziehend – anderes bleibt mir unverständlich. So geht es umgekehrt wohl auch den Japanern mit uns Europäern. Mangels außenpolitischer und geschichtlicher Erfahrung verstehen sie das politische Gebäude der Welt im allgemeinen nur sehr bedingt; auch ihre eigene Isolation und ihre damit einhergehende geringe politische Rolle in der Welt können sie sich nur unzureichend erklären.
Henry Kissinger hatte recht, als er im Januar 1986 in der »Washington Post« schrieb: »Amerikanische Führer scheinen zu glauben, eine wachsende militärische Stärke Japans würde die Verteidigungslasten der USA erleichtern … Aber eine größere Wiederaufrüstung Japans könnte Entwicklungen und Versuchungen in Gang setzen, die in den heutigen Erklärungen noch nicht ablesbar sind; sie würde Japans ökonomische Entwicklung nicht verlangsamen, sie könnte im Gegenteil sogar neue Technologien auslösen, neuen Protektionismus … Auf jeden Fall würde eine japanische Wiederaufrüstung mindestens zu destabilisierenden Gegenaktionen (compensations) anderer asiatischer Nationen führen … Nirgendwo würde man gegenüber einer neuen Entfaltung japanischer Macht stärker aufpassen als in China.«
Es wird also in Ostasien und im nordwestpazifischen Raum machtpolitisch bei einem Vorrang Chinas, der USA und der Sowjetunion bleiben. Weder die ASEAN-Staaten noch Australien, weder Japan noch irgendein anderer Staat werden auf absehbare Zeit in dieser Region ins Gewicht fallen. Vietnams Eroberungsdrang könnte nur bei massiver sowjetischer Unterstützung eine Fortsetzung finden; dies kommt mir nicht sehr wahrscheinlich vor. Eine bloß ökonomische Vorrangstellung Japans wird Beijing dulden, weil es davon selbst zu profitieren hofft; eine Entfaltung Japans zur militärischen Großmacht wird China jedoch verhindern. Aber
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