Menschen und Maechte
Ton, aber offen und klar in der Sache vertreten; soweit also war alles in Ordnung. Aber dieser Moskaubesuch war ein so großes Ereignis in meinem Leben, daß ich zwei Begebenheiten am Tag des Rückflugs gar nicht richtig in mein Bewußtsein aufgenommen habe. Die erste war die für mich tief betrübliche Nachricht vom Rücktritt meines Freundes Peter Schulz als Hamburger Bürgermeister. Am Abend hielt ich in der Hamburger Jacobi-Kirche einen Vortrag, den jugendliche Eiferer mit Lärm stören wollten. Ich war in Gedanken noch so sehr bei meinen Verhandlungen in Moskau, daß ich mich nur noch erinnere, wie der Organist den Choral »Ein’ feste Burg« anstimmte, die Gemeinde spontan sang »Und wenn die Welt voll Teufel wär’ …« und die jungen Leute beeindruckt aus der Kirche zogen – aber das Thema meines Vortrages habe ich vergessen.
Zwischenakt
Auch in den folgenden Jahren ging es in den Gesprächen mit der Sowjetführung im wesentlichen immer um dieselben Hauptthemen: den Wirtschaftsaustausch und den Berlin-Status. Unsere Verhandlungen mit der DDR spielten eine geringere Rolle. Zunehmend schoben sich aber auch multilaterale Themen in den Vordergrund: die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki und deren Folgekonferenzen, die Wiener Verhandlungen über beiderseitigen ausgewogenen Truppenabbau in Mitteleuropa (MBFR) und dann natürlich die amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen zur Begrenzung strategischer Waffen (SALT II). Der persönliche Kontakt mit Leonid Breschnew wurde in dem Maße enger, als er nach dem Präsidentschaftswechsel in den USA Anfang 1977 zunehmend Schwierigkeiten hatte, die Motive und Ziele des neuen Präsidenten Jimmy Carter zu verstehen.
Aus der Rückschau auf die siebziger Jahre gesehen, war die Helsinki-Konferenz im Hochsommer 1975 der Höhepunkt der Entspannungsphase zwischen West und Ost. Diese Politik hatte sehr langsam und zunächst tastend in der zweiten Hälfte der sechziger
Jahre begonnen; seit 1976 setzte ein schrittweiser Verfall ein, und der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan im Dezember 1979 sowie die Reaktion des Westens 1980 machten ihr ein Ende. Dadurch wurden die Möglichkeiten der Bundesregierung, an der Aufrechterhaltung und Festigung des Zusammenhalts zwischen den Bürgern der DDR, der Bundesrepublik und West-Berlins weiterzuarbeiten, begrenzt. Mein Ziel war stets gewesen, die Lage der Deutschen in der DDR zu erleichtern; diese Aufgabe erschien jetzt zunehmend bedroht. Ich sah deutlich, daß die wachsende Konfrontation der beiden Weltmächte den Einfluß meiner Regierung und meinen eigenen außen- und innenpolitischen Spielraum erheblich einschränken würde. Schließlich dachte ich nicht im Traume an Möglichkeiten Bonns zu einer quasineutralen Haltung; die langfristigen strategischen Ziele der Sowjetunion waren mir allzu deutlich.
Die DDR war noch lange bemüht, auf der einen Seite unsere Beziehungen zur Sowjetunion zu stören und uns in Moskau anzuschwärzen, andererseits aber gegen geringe politische Zugeständnisse bedeutende wirtschaftliche Vorteile einzuhandeln. In einem Punkte allerdings wurde ich angenehm überrascht. Erich Honekker, der Staatsratsvorsitzende der DDR, schien immer klarer zu sehen, daß sein eigener, ohnehin enger außenpolitischer Spielraum und die wirtschaftliche Entwicklung seines Staates durch die Verhärtung der Lage gefährdet wurden. Im Laufe der Jahre wandelte sich Honecker zu einem Anhänger der Entspannungspolitik. Mir kam es so vor, als gewännen mit zunehmendem Alter seine Empfindungen als Deutscher an Gewicht gegenüber seinen ideologischen Positionen als orthodoxer Kommunist. In meinen letzten Amtsjahren 1981 und 1982 war Honecker jedenfalls bemüht, soviel wie möglich von dem eben erst gewonnenen Handlungsspielraum für eine deutsch-deutsche Politik zu bewahren.
Ich traf Honecker zum ersten Mal in Helsinki. Der Zufall der alphabetischen Sitzordnung im Plenum ermöglichte erste zwanglose Kontakte, die noch an Ort und Stelle zu ausführlichen Gesprächen führten. Die erste Begegnung allerdings fand in einer von den beiderseitigen Protokollchefs beeinflußten Atmosphäre statt, die fast lächerlich verkrampft war. Mit steifer Choreographie wurden
wir in der Cafeteria des Konferenzgebäudes einander entgegengeführt. Wir haben aber dann doch sehr bald einen normalen, zwanglosen Umgang miteinander gefunden.
In Helsinki kam es auch zu Gesprächen mit Tito, Kadar, Schiwkoff, Ceauşescu und
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