Menschen und Maechte
sogar mit Husak und Štrougal. Einen Abend und eine halbe Nacht lang saß ich mit dem polnischen Parteichef Edward Gierek zusammen. Das Gespräch mit Gierek war für mich das wichtigste, denn es führte zu dem zweiten deutsch-polnischen Abkommen.
Natürlich gab es während der Helsinki-Konferenz auch mannigfache Gespräche mit westlichen Staats- und Regierungschefs. Das seltsamste von allen war eine Unterredung mit Erzbischof Makarios von Zypern. Die türkische Besetzung eines Teils seiner Insel lag ein Jahr zurück, er sprach darüber mit kämpferischem Eifer. Ihn unterbrechend sagte ich, bisher hätte ich angenommen, Bischöfen liege vor allem die Versöhnung am Herzen; er belehrte mich aber eines anderen. In der Regel dauerten diese vielen nützlichen zweiseitigen Gespräche am Rande der Helsinki-Konferenz ein bis zwei Stunden.
Auch mein Gespräch mit Breschnew – zum Teil unter vier Augen – dauerte nicht viel länger. Es galt abermals der Erörterung unserer wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Ich war zu dem Eindruck gelangt, daß nur eine dynamische Erweiterung des deutsch-sowjetischen Wirtschaftsaustausches uns über die von beiden Seiten als lästig empfundenen Streitigkeiten über Berlin und das Viermächteabkommen hinweghelfen konnte; so bemühte ich mich sehr, einzelne Großprojekte voranzubringen. Das war aber trotz grundsätzlicher Bereitschaft beider Seiten immer wieder schwierig, weil bei uns in der Regel mehrere industrielle Großfirmen und zudem noch mehrere Banken an einem einzigen Projekt mitwirkten. Aber auf sowjetischer Seite mußte eine Reihe von Ministerien und anderen Instanzen beteiligt werden, deren Zusammenarbeit offenbar nur schleppend funktionierte. In manchen Fällen mußte sich Moskau mit interessierten Staaten des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe und deren Bürokratien abstimmen. Das kostete Zeit und führte mitunter dazu, daß ein Projekt vorübergehend auf hohe
politische Ebene gehoben werden mußte. Wo die Zustimmung kommunistischer Staaten unvermeidlich war – wie zum Beispiel bei Rohr- oder Stromleitungen –, kamen die unmittelbaren politischen Interessen dieser Staaten ins Spiel. Lange Zeit war die DDR dabei alles andere als hilfreich.
Innerhalb des sowjetischen Politbüros lag die volkswirtschaftliche Gesamtverantwortung offensichtlich bei Ministerpräsident Kossygin. Die außenwirtschaftlichen Verhandlungen beaufsichtigte – oder führte – zumeist Tichonow, der später Kossygins Nachfolger wurde. Beide waren angenehme, weil sachliche Gesprächspartner, stets gut informiert und – das wichtigste – stärker am Erfolg als am Prestige interessiert.
Alexej N. Kossygin, 1904 geboren, hatte bis 1921 in der Roten Armee gedient und am Bürgerkrieg teilgenommen. Er war ein ausgebildeter Ingenieur mit enormer Verwaltungserfahrung. Schon mit vierunddreißig Jahren war er in seiner Vaterstadt Leningrad Vorsitzender des Stadtsowjets, also praktisch Oberbürgermeister gewesen; mit vierundvierzig wurde er ins Politbüro berufen. Ich habe ihn bisweilen mit Spitzenleuten unserer eigenen Beamtenschaft verglichen: pflichtgetreu, genau, zuverlässig. Zugleich war er aber mit großer konzeptioneller Begabung ausgestattet.
Ich kann nicht beurteilen, ob Gerüchte zutreffen, Kossygin habe sich im Politbüro gegen den Einmarsch sowohl in die ČSSR als auch nach Afghanistan ausgesprochen. Ich halte dies aber für möglich; denn Kossygin hatte beträchtliche Weltkenntnis, er besaß weltpolitischen Überblick, und er war ein Mann der Mäßigung. Man konnte gut mit ihm verhandeln, wenngleich ein solches Gespräch nie herzlich wurde. Eigentlich wirkte Kossygin meist etwas traurig, was um so merkwürdiger war, als er durchaus witzig sein konnte.
Kossygins melancholisch wirkenden Gesichtsausdruck, der durch ein großes dunkles Mal im Gesicht noch verstärkt wurde, habe ich mir manchmal mit der Vermutung erklärt, ein Mann von seiner ökonomischen Urteilskraft habe gewiß nicht nur die Ineffizienz der sowjetischen Wirtschaft, sondern auch deren Ursachen erkannt. Beim Versuch, Reformen durchzusetzen, wohl immer wieder gescheitert, mag er letztlich resigniert haben. Als Chefmanager der sowjetischen Volkswirtschaft erschien mir Kossygin wie ein guter Generaldirektor an der Spitze eines schlecht strukturierten, fast nicht steuerbaren Unternehmens. Als ich Kossygin 1974 zum ersten Mal begegnete, war er siebzig Jahre alt – vielleicht war er damals schon kränker, als wir wußten.
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