Menschen und Maechte
würden; daß wir in der Lage waren, die notwendigen Kompromisse nüchtern, wenn auch in verbindlicher Form auszuhandeln, und daß wir uns dabei von der Übermacht der Sowjetunion nicht ohne adäquate
Gegenleistungen zur Preisgabe von Positionen bewegen lassen würden.
In diesem Sinne konnten wir mit dem Ergebnis des Besuches zufrieden sein; das damals geschlossene deutsch-sowjetische Regierungsabkommen über die Weiterentwicklung unserer wirtschaftlichen Zusammenarbeit und die von Breschnew und mir unterzeichnete Abschlußerklärung waren Zugaben.
Ähnlich sahen es auch die etwa hundert deutschen Journalisten, die nach Moskau gekommen waren. Die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« schrieb zum Beispiel: »Gast und Gastgeber traten unbefangen aufeinander zu … Dies schloß freilich nicht aus, daß die Meinungen hart aufeinanderprallten. Aber immer wieder wurde von allen Beteiligten der sachliche Ton hervorgehoben … Man konnte einander deutlich die Meinung sagen, ohne daß der andere dies falsch verstand. Das war … keineswegs selbstverständlich.« Die »Stuttgarter Zeitung« schrieb: »Noch kein deutscher Politiker dürfte den Kreml-Herren mit dieser Offenheit klargemacht haben, daß die Bundesrepublik für das Ostgeschäft keine Prämien zu zahlen bereit ist, weder in Form von subventionierten Krediten noch in Form von politischen Zugeständnissen.« Die »Süddeutsche Zeitung« bemerkte: »Schmidt macht sich … keine Illusionen; seine ganze Verhandlungsführung in Moskau verrät, daß er die Grundlage des realisierbaren Geschäfts nicht verlassen hat.« Der Norddeutsche Rundfunk sprach von einer »… tiefgehenden und nicht vorgetäuschten Irritation der Sowjets über die Placierung des Umweltbundesamtes in Berlin … Das daraus entstandene Mißtrauen [ist] jetzt das Haupthindernis für Fortschritte in der Berlinfrage.« Und schließlich die »Rheinische Post«: »Da der Meinungsunterschied über West-Berlin im Viermächteabkommen eingebaut ist, wird es schwer sein, die unterschiedlichen Interpretationen in den Bereich des Kleingedruckten zu verweisen.«
Insgesamt war das deutsche Presseecho einhellig positiv; aber auch »Prawda« und »Iswestja« hoben ausdrücklich das gegenseitige Verständnis hervor. Die Kommentare der sowjetischen Zeitungen unterstrichen einerseits die Erdgasröhrenvereinbarung (die bis zum Jahre 2000 gelten sollte) und andererseits den Realismus
der Gespräche. Insgesamt war auch das breite sowjetische Echo positiv.
In Moskau hatte es natürlich mehrere Pressekonferenzen gegeben, darunter eine gemeinsame von Klaus Bölling und Leonid Samjatin. Einmal versammelten Außenminister Genscher und ich die Presse im glanzvollen Wladimirsaal des Kreml. Frau Breschnewa, Frau Gromyko und meine Frau wollten dabeisein. Die Episode, die meine Frau mir später im Flugzeug erzählt hat, beleuchtet auf tragikomische Weise die Gesellschaftsordnung in der Sowjetunion. Die Ehefrauen waren zwar zu den beiden großen Essen eingeladen worden, hatten aber sonst ganz im Schatten bleiben müssen (dies hat sich erst unter Gorbatschow, dem dritten Nachfolger Breschnews, geändert). Nun wollten sie wenigstens einmal eine Pressekonferenz miterleben. Als der Protokollchef die Damen abholen wollte, wurde Frau Breschnewa etwas zugeflüstert; sie blieb sitzen und sagte, sie wolle lieber doch nicht teilnehmen. Frau Genscher blieb höflicherweise bei ihr, die übrigen Damen machten sich über lange Korridore auf den Weg. Einige der sie begleitenden sowjetischen Beamten redeten unterdessen auf Frau Gromyko ein; plötzlich entschuldigte sie sich bei meiner Frau und kehrte um. Kurz vor dem Eingang in den Wladimirsaal wurde dann auch Kossygins Tochter zur Umkehr veranlaßt. Wütend, aber solidarisch hat meine Frau mit ihr kehrtgemacht. Wenige Minuten später saßen die Damen wieder vereint an ihrem alten Kaffeetisch, aber es herrschte tiefes Schweigen.
Es gab auch freundliche Gesten an die Damen. So hatte ein junger KGB-Major in Zivil, der während des ganzen Besuches meine Frau begleitete, Lokis Interesse an den Bäumen und Sträuchern in den Moskauer Parks bemerkt. Am nächsten Morgen lag ein herbstrotes Ahornblatt auf ihrem Sitz im Wagen.
Allerdings hatten die Sicherheitsbeamten des KGB auch ihre dienstlichen Pflichten zu erfüllen. Bei einem kleineren Essen im Kreml saßen die deutschen Sicherheitsbeamten mit ihren russischen Kollegen und höheren Militärs zusammen. Als Dolmetscher dienten russische Studenten, die in
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