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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Wahrheit spreche … Jedoch habe ich tatsächlich Sorgen wegen Ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit bei Panzern und Flugzeugen in Europa, vor allem gelten meine Sorgen aber Ihren Mittelstreckenraketen.«
    Breschnew widersprach: Es sei absurd, strategische Überlegungen mit der angeblichen Bedrohung durch die Sowjetunion zu begründen. Die Sowjetunion wolle die Bundesrepublik nicht überfallen, weder konventionell noch nuklear. Es sei für ihn kein Vergnügen, über solche Dinge zu sprechen. Aber wenn wir Vertrauen schaffen wollten, müßten wir auch über die strategischen Fragen miteinander sprechen. Er zählte alle Komponenten des nuklearstrategischen Potentials der USA auf und beklagte sich über deren in Entwicklung befindliche Marschflugkörper (cruise missiles). Es seien die Amerikaner, die eine Überlegenheit anstrebten und bei SALT II einseitige Vorteile herauszuholen suchten. Schließlich müsse die Sowjetunion auch an ihre lange Grenze zu China denken. Was aber die Grauzone angehe, so sei die Sowjetunion bereit, alle Arten von Waffen zu reduzieren: »Natürlich nur im Einvernehmen aller Staaten; die Sicherheit darf auf keiner der beiden Seiten beeinträchtigt werden. Natürlich nur bei voller Gegenseitigkeit … Wir befinden uns doch in Europa tatsächlich in einer ungefähren Gleichheit der Sicherheit!«
    Ich war mir nicht im klaren darüber, ob Breschnew diesen Satz für zutreffend hielt. Es war immerhin nicht auszuschließen, daß er die Dinge so sah. Mir war immer zweifelhaft gewesen, ob nicht der alte Komplex der Russen, sich ständig bedroht zu fühlen, beim Politbüro möglicherweise zu einer Überschätzung des Westens und damit zu einer als »objektiv« verstandenen, tatsächlich aber verzerrten Einschätzung der Kräftebilanz geführt habe.
    Glücklicherweise hatte ich Breschnew vor unserer Begegnung ausrichten lassen, ich würde mit militärischen Karten kommen, um ihm meine Besorgnis plausibel zu machen – und ob er dies nicht auch tun wolle. Darauf kam ich jetzt zurück und breitete eine große Karte von Europa aus, die über den Ural hinaus reichte. Sie enthielt
unseren Wissensstand über alle sowjetischen und westlichen Nuklearwaffen, deren Reichweite über das eigentliche Gefechtsfeld hinausging. Neben den ungefähren Standorten und der jeweiligen Anzahl der verschiedenen Waffensysteme waren deren Reichweiten eingezeichnet.
    Breschnew hatte meinen Vorschlag aufgegriffen; er ließ nun von seinem Mitarbeiter Alexandrow ebenfalls eine große Europakarte auf dem Tisch ausbreiten. Beide Karten waren – kein Wunder! – in ihrer Struktur sehr ähnlich, wenn auch wahrscheinlich nicht in jedem Detail. Beide Karten trugen rote und blaue Geheimhaltungsstempel; der für militärische Unterlagen spezifische Eindruck größter Wichtigkeit und äußerster Geheimhaltung war auf beiden Seiten von den Militärs sorgfältig hergestellt worden. Von größter Wichtigkeit waren und sind diese Karten allerdings; ihre jahrzehntelange, beiderseitig strenge Geheimhaltung ist dagegen politisch sinnlos und schädlich. Die Geheimhaltung macht alle ohnehin schwierigen Rüstungsbegrenzungsverhandlungen unnötigerweise noch schwieriger und nährt außerdem Mißtrauen. Das einzige Ergebnis dieser Geheimhaltung ist eine Art Beschäftigungsprogramm: Beide Seiten setzen eine viele tausend Menschen umfassende Spionageorganisation in Lohn und Brot. Das alles ist höchst überflüssig, zumal beide Weltmächte heutzutage durch ihre unzähligen Aufklärungssatelliten ohnehin die installierten Waffensysteme der Gegenseite genau kontrollieren.
    Ich hatte den Eindruck, daß die sowjetische Karte meiner Argumentation tatsächlich recht geben konnte. Es war jedoch schwierig, alle eingetragenen Angaben zu verstehen – der kyrillischen Schrift und der andersartigen taktischen Zeichen wegen. Auch hatte ich nicht genug Zeit, die Karte genauer zu studieren, denn als ich meinem Gast anhand seiner Karte meine Besorgnisse wegen der SS 20 demonstrierte, wurde er ärgerlich. Ob ihn das Detail überforderte, ob er sich darüber ärgerte, sich so weit eingelassen zu haben, oder ob sonst ein Anlaß vorlag – jedenfalls wischte Breschnew mit einer Handbewegung und einigen ärgerlichen Worten seine Karte vom Tisch. Alexandrow hob sie auf und legte sie beiseite. Meine eigene Karte, die eigens für diese Unterhaltung
angefertigt worden war, überließ ich Breschnew und forderte ihn auf, die eingetragenen Zahlen zu Hause prüfen zu lassen.
    Die

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