Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
Vom Netzwerk:
am letzten Tag in Hamburg; ich hatte ihn zu einem privaten Mittagessen in meine Wohnung in Langenhorn eingeladen. Breschnews Stab war gegen diesen Abstecher gewesen, vielleicht aus Sicherheitsgründen; man hatte auch abgelehnt, daß Breschnew mit mir zusammen in einem Bundeswehrflugzeug von Bonn nach Hamburg fliegen sollte, vielleicht wegen der Funkverbindungen mit dem Oberkommando in Moskau. Aber Breschnew, der nicht nur ein überaus gastfreundlicher Mann, sondern auch ein vertrauensvoller Gast war, nahm beide Einladungen gern an. Dadurch gewannen wir, Gast und Gastgeber, aber auch Gromyko und Genscher, viele zusätzliche Stunden zu sehr privatem Gespräch.
    Natürlich fing es, kaum daß wir in unserem Wohnzimmer angekommen waren, mit Wodka an, diesmal mit polnischem Zubrowka, den mir Edward Gierek geschenkt hatte und der Breschnew besonders gutzutun schien. Meine Wohnung ist mit Büchern gut gefüllt; plötzlich bemerkte jemand, daß Breschnew sich in einen Sessel direkt unter die vierzig Bände der gesammelten Werke von Marx und Engels gesetzt hatte. Großes Gelächter, sogar Gromyko schmunzelte.
    Dann wurde es ernst. Die Gäste wollten noch vor dem Mittagessen über Politik reden, über unsere Beziehungen zur DDR, sehr eingehend über China und schließlich nochmals über Truppenabbau in Europa (MBFR). Also ließen wir die anderen Gäste im Wohnzimmer mit meiner Frau allein und zogen zu viert in mein sehr kleines Arbeitszimmer. Dort gibt es nur drei Sitzgelegenheiten; Genscher muß wohl auf der Bücherleiter gehockt haben, die beiden Dolmetscher standen. Die Stimmung war inzwischen sehr freundlich geworden, aber in der Sache wurden von keiner Seite Zugeständnisse gemacht. Eine Stunde später ging es die Treppe wieder hinunter zu Spargel und Schinken.
    Inzwischen waren Brandt, Lambsdorff und Bahr hinzugekommen, es wurde eine ziemlich fröhliche Runde. Die Gäste hatten sich unter meinen Büchern umgesehen und die vielen russischen
Schriftsteller bis hin zu Gorki, Scholochow, Pasternak und Solschenizyn entdeckt, und es entspann sich eine Unterhaltung über russische Literatur. Die sowjetischen Gäste konnten sehen, daß wir nicht anhand von Spickzetteln aus dem Auswärtigen Amt redeten, sondern aus eigener Kenntnis – und daß die Deutschen eine ganze Menge von russischer Literatur verstanden.
    Natürlich wurde auch über Hamburg gesprochen, über gemeinsame Aspekte der hanseatisch-russischen Geschichte seit dem Mittelalter. Dann kam das Gespräch auf Ernst Thälmann, den aus Hamburg stammenden einstigen Chef der KPD, der von den Nationalsozialisten umgebracht worden war und dessen Gedenkstätte in Eppendorf Breschnew am Morgen besucht hatte. Hamburg als Stadt interessierte die sowjetischen Gäste. Breschnew hatte im Gästehaus des Senats an der Außenalster geschlafen – eine sehr schöne Visitenkarte der Stadt. Danach war ein Besuch des Rathauses an die Reihe gekommen. Zwar hatte es einige Demonstranten von rechts gegeben, aber auch viele freundlich-neugierige Gesichter an den Straßenrändern. In Langenhorn hatten sich, wie schon oft bei Besuchen ausländischer Staatsmänner, viele meiner Nachbarn vor unserem kleinen Vorgarten versammelt, um ein privates Photo zu schießen.
    Breschnew wollte übrigens nicht recht glauben, daß die Siedlung der Neuen Heimat, zu der mein Reihenhaus gehört, überwiegend von kleinen Leuten bewohnt wird; die Eigenheime mit Garagen und den Gärtchen vor der Haustür kamen ihm wohl für normale Facharbeiter und Angestellte zu luxuriös vor. Aber er fühlte sich offenbar wohl, es wurden viele Witze erzählt, und es gab viel Wodka und viel Gelächter. Zwischendurch brauchte Breschnew eine Spritze durch seinen Arzt, wozu sich die Herren in unser Badezimmer zurückzogen.
    Der Besuch des sowjetischen Staatsmannes, der am Vortage in Bonn mit der Ausfertigung der gemeinsamen Dokumente seinen offiziellen, was das konkrete Ergebnis anlangt, allerdings keineswegs hinreißenden Abschluß gefunden hatte, endete also in Hamburg in harmonischer Stimmung. Am nächsten Tag erschienen die Resümees in den Zeitungen. Die sowjetische Presse beurteilte den Besuch sehr positiv. Das hatte gewiß sowohl innenpolitische als auch außenpolitische Gründe: Breschnew wollte angesichts seiner – übertriebenen – Sorgen über China und angesichts des für ihn unklaren Verhältnisses zu Jimmy Carter seine Europapolitik festigen. Die deutsche und die westliche Presse war mit Recht erheblich zurückhaltender;

Weitere Kostenlose Bücher