Menschen und Maechte
sie registrierte jedoch und betonte zutreffend, daß in den abweichenden Grundpositionen zwar eine Annäherung, aber keine Verwischung der gegensätzlichen Standpunkte stattgefunden hatte. Einer ging in seinem Lob zu weit: Franz Josef Strauß sprach öffentlich von einem »Meilenstein im historischen Prozeß« der deutsch-sowjetischen Entwicklung. Ich fragte mich, wie er sich wohl geäußert haben würde, hätte er gewußt, daß Breschnew noch drei Tage vorher ein Gespräch mit Strauß hatte absagen wollen, was ich ihm dann während einer Autofahrt ausgeredet hatte: »Was soll ich ihm denn sagen?« Worauf ich ihm geantwortet hatte: »Natürlich dasselbe wie mir, nur etwas kürzer.«
Abb 35 Der Generalsekretär ließ es sich nicht nehmen, Schmidts Einladung nach Langenhorn zu folgen: Breschnew unter den Gesammelten Werken von Marx und Engels.
Im weiteren Verlauf des Jahres 1978 zeigte sich, daß die sowjetische SS-20-Rüstung in unvermindertem Tempo weiterging; die Amerikaner machten bei den SALT-II-Verhandlungen allerdings auch keinen ernstgemeinten Versuch, diesen Prozeß zu stoppen oder in SALT II einzubeziehen. Meine Besorgnis nahm zu, und ich lag beiden Weltmächten mit diesem Problem in den Ohren, ohne wirklich Gehör zu finden.
Das Politbüro revidiert sich
Gegen Ende des Jahres 1978 gab es über das SS-20-Problem einen Meinungswechsel im Weißen Haus. Die neue Einschätzung der Lage führte Anfang 1979 zu einem Vierertreffen von Carter, Callaghan, Giscard d’Estaing und mir auf der französischen AntillenInsel Guadeloupe. Den dort vorformulierten Beschluß, der später so genannte Doppelbeschluß, der in präziser Form schließlich im Dezember 1979 im Nordatlantikpakt verabschiedet wurde, habe ich dem sowjetischen Generalsekretär in seinen beiden Elementen alsbald signalisiert. Er hörte von mir auch, daß ich für meinen Teil
entschlossen sei, diese Linie zu verfolgen, mich also mit Nachdruck für Verhandlungen über Mittelstreckenwaffen einzusetzen, im Falle eines Scheiterns dieser Verhandlungen aber amerikanische Mittelstreckenwaffen auch auf deutschem Boden zu stationieren.
Moskau konnte andererseits im Laufe des Jahres 1979 in allen Hauptstädten der Staaten des Nordatlantikpaktes beobachten, wie umstritten dieser Beschluß in der öffentlichen Meinung des Westens sein würde. So setzte der Kreml seine Hoffnung auf die an vielen Orten sich entfaltende Opposition und gab sich große Mühe, diese Opposition zu nähren. Im übrigen vertraute Moskau ganz offensichtlich darauf, daß man bis zum Ende der von der westlichen Allianz gesetzten vierjährigen Verhandlungsperiode, also bis Ende des Jahres 1983, einen gewaltigen Vorsprung bei den Mittelstreckenraketen in Europa erreicht haben würde. Erst dann konnte der Westen ja den ersten Schritt zur eigenen Nachrüstung tun. So schien Guadeloupe Breschnew nicht zu beunruhigen; er setzte seine bisherige Politik auf allen Gebieten kontinuierlich fort. Für ihn blieben in allererster Linie China, sodann MBFR, aber auch die DDR und West-Berlin die Hauptgegenstände unserer Korrespondenz, daneben natürlich unsere bilateralen Wirtschaftsbeziehungen. Meinerseits spielten die Mittelstreckenraketen stets eine wichtige Rolle.
Auf dem Flug zum Weltwirtschaftsgipfel in Tokio kam es am 25. Juni 1979 zu einem dreistündigen Treffen mit Kossygin, Gromyko und Tichonow auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo; begleitet wurde ich von den Bundesministern Matthöfer und Hauff. Ich brachte das Gespräch sehr schnell auf meine Hauptsorge. Kossygin und Gromyko berichteten ausführlich von dem Treffen zwischen Breschnew und Carter, das kurz zuvor, vom 16. bis 19. Juni in Wien stattgefunden hatte und bei dem das SALT-II-Abkommen unterzeichnet worden war. Die drei Moskauer Herren lobten SALT II in enthusiastischen Wendungen, ebenso die gleichzeitigen Festlegungen für die im Anschluß geplanten SALT-III-Verhandlungen, an denen auch die Nuklearmächte Frankreich, England und China beteiligt sein sollten. Natürlich müßte bei der Vorbereitung
zu SALT III auch über die amerikanischen, nach Europa vorgeschobenen nuklearen Waffensysteme (Forward Based Systems, FBS) gesprochen werden.
Hier hakte ich ein: »Die Bundesrepublik hat im Hinblick auf SALT III drei Hauptinteressen: erstens muß die Zahl der interkontinental-strategischen Nuklearwaffen und -sprengköpfe weiter verringert werden; zweitens müssen bei SALT III auch die eurostrategischen Waffen [das hieß: die
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