Menschenfänger
wohne in einer Villa am Stadtrand. Und im letzten Jahr sei sie so krank gewesen … Sie haben die Ohren gespitzt und dann behauptet, die Frau befände sich in Ihrer Gewalt.«
Windisch hatte aufgehört zu pfeifen und sah Peter Nachtigall direkt in die Augen.
»Schlaues Kerlchen.«
»Ja. Nachdem ich die Idee hatte, brauchte ich nur die Besatzung des Streifenwagens zu fragen, die Sie abtransportiert hatte. Ganz einfach. Ich würde nur gern verstehen, warum Sie das alles gemacht haben?«
Klaus Windisch begann, sich mit dem Nagel des rechten Mittelfingers den Dreck unter den Nägeln der anderen Hand herauszukratzen, und schwieg. Nachtigall versuchte, schweigend abzuwarten, ohne gleichzeitig auf die Signale seines Körpers zu achten. In seinem Kopf dröhnte es, und immer wieder schwappte Mageninhalt in die Speiseröhre hoch. Leichter Schwindel verschlimmerte die anderen Unpässlichkeiten zusätzlich. Wenn er in sich hineinlauschte, wurde es gleich deutlich schlimmer.
»Wissen Sie, meine Adoptiveltern hatten ein eigenes Kind, bevor sie mich aufnahmen. Vielleicht hätten sie besser ein Mädchen adoptiert, aber so … Ich sollte ihren toten Frank ersetzen. In allem was ich tat, wurde ich an diesem Toten gemessen. Ständig hieß es, der Frank hätte das aber allemal besser gemacht, der wusste, wie man das macht, der konnte das, du bist so unbegabt, nie weißt du, wie man irgendwas macht, aus dir wird nichts, unser Frank, der wusste dies, der wusste das. Ihr Frank war schon mit fünf an einer Lungenentzündung gestorben – der konnte das alles gar nicht gewusst haben! Aber in ihrem Denken entwickelte er sich zum Genie, unerreichbar. Natürlich kam er auch nie in die Pubertät, machte nie Schwierigkeiten, rauchte nicht, trank nicht. Wenn ich was konnte, nahmen sie es meist nicht einmal zur Kenntnis. Ich machte den Führerschein und schaffte ihn im zweiten Anlauf. Das wäre ihrem Frank nie passiert. Der Frank hat immer alles mit Bravour im ersten Anlauf gemeistert. Alle Prüfungen, alle Arbeiten, das Abitur – immer wurde mir Frank vorgehalten. Sie haben keine Chance bei einem Konkurrenzkampf gegen einen Toten!«
»Warum dann die Morde?«
»Ich habe schon vor Jahren damit begonnen, meine Fähigkeiten zu verbessern, und kann gut Menschen manipulieren. Angefangen habe ich aber mit Tieren. Die konnte ich in den Schuppen hinterm Haus locken, obwohl es dort nach toten Artgenossen roch. Nach vielen toten Artgenossen. Katzen aus der Nachbarschaft. Ich überredete sie, mit mir zu kommen, und erschlug sie dann. Sie folgten mir selbst dann, wenn noch das Blut des letzten Opfers an meinem Jackenärmel klebte. Als mein ›Vater‹ eines Tages dazukam, wie ich eine Katze erschlug, verstand er das Großartige meiner Leistung überhaupt nicht. Er ekelte sich, schrie rum und verhängte Stubenarrest. Später habe ich es dann mit Menschen versucht.«
»Mit Prostituierten.«
»Ja. Die müssen ja schon wegen des Geschäfts andere nah an sich ranlassen. Im Grunde sind sie mir ähnlich. Sie erschaffen auch eine Illusion, und die Freier sitzen ihnen auf. Es war so unglaublich einfach. Ich wurde verhaftet, und meine Eltern waren schockiert. Ich versuchte, ihnen zu erklären, dass ich etwas ganz Besonderes könne, etwas, was nicht einmal ihr Frank gekonnt hatte, doch sie verstanden mich nicht. Immer wieder sprachen sie über pathologische Entwicklungen mit mir, dabei bin ich gesund. Ich habe nur eine Sonderbegabung. Ich ging dann dazu über, diese Frauen zu etwas Besonderem zu erschaffen – sie waren auserwählt, trugen die Ornamente meiner Kreativität und waren durch magische Höllen und Fegefeuer gegangen, um mir für meinen Triumph zur Verfügung zu stehen. Am ehesten vielleicht mit einem spirituellen Medium vergleichbar.«
»Und Paula Brusching?«
»Da wären wir wieder beim Thema, nicht wahr? Vielleicht sind wir damit wirklich beim Punkt aller Punkte. Ich dachte mir, wenn ihr glaubt, ich hätte diese Frau in einem sicheren Versteck, würdet ihr euch rund um die Uhr um mich kümmern. So war es doch auch. Dumm war natürlich die Sache mit dem Medikament – ich hatte also nur maximal drei Tage eure ungeteilte Aufmerksamkeit. Und irgendwann fand ich den Gedanken geil, dass ein völlig Außenstehender den Tod dieser Frau herbeiführen konnte, ohne auch nur an einer einzigen Stelle selbst Hand anlegen zu müssen«, erklärte Klaus Windisch unverhohlen triumphierend.
Er begann nun, die Nägel der rechten Hand zu reinigen.
»Sie ist tot,
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